Tunschere 44/2001
Vorwort
Loorpe, üm Neeijahr 2001
Leeiwe Därps un Butendärpsfrönde,
As 1960 de Loorper Kaeke däör'n Aenbau aen de Südsiete bolde dubbelt so groot wooren was, schreef Hünteljans Sina
in'n Couplet: ..."Daet Jahr 1960 Loorper Kind, nee daet vergääte nich".....
Vantjahr, 40 Jahre laoter, haeff use Därp uck heller wat
upptouwiesen un so kaenn ick aen't Ende van daet Jahr 2000 driester schriewen: "Daet Jahr 2000 mäöt ie vvääten,
käönt de Loorper nich vergääten." Darümme will wi in disse Beldertunscheere tourüggekieken upp besünnere un fäör
use Därp wichtige Begevenheiten in daet Jahr 2000. Ick denke darbie uck aen
use Butendärpsfrönde, däi de Fierdaage in Loorpe nich sülwens mitbelääwen
kunnen.
Sülwens mitbelääwen kunnen Angehörige van de Loorper Familge Rieken de Bischofsweihe van David
Ricken in Rom, däör Papst Johannes Paul IL David Ricken is de Enkelsäöne van
Wilhelm Rieken, däi 1911, mit 18 Jahr all, van Loorpe naa Amerika utwandert is. De Fierdaage in Loorpe leegen sess Wääken bienänner aale upp'n Saenndaech:
Use Denkmal woort touhope mit daet neeie Rathus aen'n 21. Mai inweeihet, de
Kolpingsfamilie kunn ähr 75jährige Jubiläum eeine Waake laoter fiern un use Volkstanzgruppe ähr 20jährige Bestaan fief Wääken danaa.
Mit daet Wäär haeren wi daet bie däi ersten Fieern nich raaket un bie't Kolpingsfest was
us daet Telt baolde baowen denn Kopp wechwaiet. Man de Volkstanzgruppe kunn ähr
Festprogramm mooi bie Sünnenschien buuten tou Ende bringen; däi Froulüü haeren wall däi Katten bääter
fouert.
In disse Tunscheere is uck däi Übersetzung van daet in latienske
Spraake verfasste Visitationsprotokoll van 1669 offdrücket. Wi haerren daet all in de Ausgabe 42/99 aenkündiget.
Daet gait üm use olde Kaeke, däi 1834 offbraoken
wooren is. "Dieser Junge reist nach Lorup", (Tunsch. 43/2000) denn wie all bie Petrus
vermutet haebbt, däi läwet noch munter in Ossenbrügge. Häi meldet sück in disse Tunscheere tou Woore.
Mooie Beider ut "Loorpe 2000" Staat vantjahr in use Kalendarium
un gaat mit Jou däör't Neeie Jahr.
Damit Glückseelges Neeijahr 2001
Neeiolleges Franz Franz Grote
Bernhard Schulz erzählt aus seiner Kindheit
1923 - Ich bin 10 Jahre alt und bin soeben zur ersten hl. Kommunion zugelassen worden.
Weißes Krägelchen, Gebetbuch, Uhrkette. Die Kette hatte mir ein Onkel geschenkt, die Uhr sollte
nachgeliefert werden, ich habe sie aber nie bekommen.
So sah ich also aus, als ich 1923 zum ersten Mal nach Lorup reiste. Der Hümmling und Lorup und
die Tante mitsamt ihren Freunden im Dorf haben mich damals doch sehr beeindruckt.
Das Dorf, in dem ich im Bergischen Land geboren wurde, hieß Lindlar. Von einem Hügel in der
Umgebung des Dorfes konnte ich die Spitzen des Kölner Doms erkennen.
Wenn ich morgens aus dem Bett stieg, um zur Schule zu gehen, berührten meine Sohlen ein
Heidschnuckenfell. Dieser wolkig weiße Bettvorleger verschaffte mir ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Ich
kam nicht auf den Gedanken, dass meinetwegen ein Schaf hatte sterben müssen. Heilige Unschuld.
Der Tag, der Alltag, der Schulalltag begann in meinem Kopf mit dem Bild einer Landschaft, in der
es Windmühlen, Moore und auf den Dächern der Bauernhäuser die Nester der Störche gab. Ich vernahm das Bimmeln
einer Kirchenglocke, die Frömmigkeit in mir wachrief. Frömmigkeit, das weiß ich heute, ist immer noch gescheiter
als ein Blick aufs Bankkonto.
Das Dorf, von dem ich träumte, hieß Lorup. Sanktus Lorup.
Vor jedem Bett im Haus meiner Eltern lag ein Heidschnuckenfell. Wenn ein Nachbar fragte, woher
wir diese weißen Felle hätten und was denn Heidschnucken für eine Rasse wären, antwortete meine Mutter: "Wir
haben sie aus Lorup, das liegt im Hümmling. Dort züchten sie diese Schafe. Einverstanden?"
Oh ja, sie waren einverstanden. Die Leute in Lindlar kannten außer Pferden und Rindern nur
Ziegen, vom Volk als "Kuh des kleinen Mannes" liebevoll aufgewertet.
Meine Eltern hielten auch eine Ziege, sie hieß Sonja. Sie wurde im Obstgarten angepflockt und
fraß Gras.
"Wissen Sie", erklärte meine Mutter den Nachbarn, "meine Schwester Therese ist in Lorup an der
Grundschule als Lehrerin angestellt. Therese Huser bringt dort den Kindern das ABC, das Einmaleins und den
Katechismus bei. Im Rahmen der Armut und der Unwissenheit, in der wir auf Erden verharren, ist eine Lehrkraft
mit dem Katechismus in der Schürze so notwendig wie ein Pfarrer." Das sagte sie, und wir Kinder spürten die
Wahrheit, die dahinter stand.
Wenn im Sommer die Schule in Lorup schloss und die Reinemachefrau daran ging, in den Räumen den
Geruch nach Torf, Schaf und selbstgestrickten Strümpfen auszuräuchern, packte Therese Huser die Koffer und fuhr
in die Ferien zu Ihrer Schwester Karoline nach Lindlar, ins Dorf der Besenbinder, Korbflechter und eben auch der
Ziegen, deren Häute hier zu Leder verarbeitet wurden. Als Entgelt für Speise, Trank und Bett zahlte sie meinen
Eltern jedesmal ein Heidschnuckenfell. Die Felle mehrten sich und strahlten Reichtum aus.
Einmal brachte sie ein schwarzes Fell mit, das sie der Farbe wegen als kostbar hervorhob. Der
Vater nagelte das seltene Stück im Wohnzimmer an die Wand über dem Sofa, dorthin wo bislang ein röhrender
Hirsch stumm um Erbarmen gefleht hatte.
In der Regel durften wir auch in den Weihnachtsferien mit der Loruper Tante rechnen. Frohe
Weihnachten allerseits. Als ich sechs Jahre alt und eingeschult worden war, schenkte mir die Tante eine Geige.
Ohne Geige, sagte sie, würde ich es im Leben zu nichts bringen: "Morgen fangen wir mit dem Unterricht an".
Eltern und Geschwister hörten zu und blickten ängstlich in eine Zukunft, in der außer Cis und
Fis auf der Kindergeige nichts Erbauendes mehr zu hören sein würde. Der Unterricht begann, und es stellte sich
heraus, dass ich so unmusikalisch war wie eine dieser Ziegen im Dorf, die außer meckern auch nichts
vollbrachten.
Als die Tante abgereist war, nach Lorup wohin denn sonst, beerdigte ich die Geige in einer Truhe
auf dem Speicher. Ruhe sanft. Cis und Fis und was auch immer. Aber die Tante hat Recht behalten. Ich habe es zu
nichts gebracht. Kein Porsche in der Garage. Keine Villa in Florida. Kein Posten im Aufsichtsrat der Deutschen
Bank. Ich bin schon froh, wenn sich die Barmer Ersatzkasse an meine Einzahlungen erinnert und den Zahnarzt
bezahlt.
Ich hatte vier Schwestern, und diese fröhlich heranwachsenden Damen fingen im Mai schon an zu
zittern, weil sie den Sommer fürchteten. Im August kam die Loruper Tante zu Besuch, und dann mussten sich die
Damen statt zu wandern und das Bergische Land anzuschauen mit Handarbeiten beschäftigen. Kopfkissenbezüge,
Überhandtücher, und Sofaschoner, ohne deren Nachweis sie niemals einen Mann zum Heiraten finden würden.
Die Tante konnte mich mal. Aus mit Cis und Fis und was auch immer. Ich war ein undankbarer
Junge, um den man sich am besten überhaupt nicht kümmerte. Dieser Satz hallte mir in den Ohren. Aber das
Schlimme war, dass sie sich trotzdem kümmerte. Sie war eben eine Lehrkraft, und sie hatte es sich in den Kopf
gesetzt, mich zu fördern. Zu den Mitteln mich zu fördern rechnete auch eine Lateinische Grammatik, und das
Ganze lief darauf hinaus, dass ich mich bemühen musste, Kardinal zu werden.
Als Kardinal, sagte sie, wäre es für mich doch ein Leichtes, der Familie im
Himmel bequeme Sessel zu beschaffen, auf denen Mutter, die vier Schwestern und sie selbst, die
Loruper Tante, Platz nehmen und das versprochene himmlische Weiterleben wahrnehmen könnten.
"Und neben jedem Sessel", sagte sie mit einem unverhofften Ausbruch von unterdrückter
Heiterkeit, "dürfte ein Tischlein stehen mit Tee, Kandis und Beschütze Verstanden?"
Jawohl, ich hatte verstanden. "Und was ist mit Emil"? Emil war ihr Schwager. "Bekommt Vater
wenigstens einen Schemel?" "Emil", antwortete sie, "Emil hat hier auf Erden seinen Himmel gehabt. In der Kneipe.
Emil will gar nicht ins Himmelreich".
Brief an Bernhard Schulz
Lieber Bernhard Schulz!
Diese vertraute Anrede und diesen Ton darf ich mir vielleicht
herausnehmen, als Gleichaltriger und als Betroffener von Deinem Bericht aus dem Jahre 1968. Leider ist mir dieser
Bericht erst jetzt zur Kenntnis gelangt, und ich kann Dir darum erst jetzt auf die letzte Frage, die Dein Bericht
enthält, antworten.
Wen interessiert das? Das interessiert nicht nur mich, sondern
auch eine ganze Menge Loruper, besonders diejenigen, die diese Zeit noch erlebt haben. Aber auch die Jüngeren, für
die es sehr aufschlußreich sein wird, ein so schönes Bild, wenn auch in vielem leicht übertrieben, von unserem
damaligen Dorf vorgeführt zu bekommen. Am liebsten würde ich Dir natürlich in unserem schönen Loruper - Tal
antworten, aber ich habe die Befürchtung, daß Du in dieser Hinsicht etwas zu kurz gekommen bist; daß Du also der
plattdeutschen Sprache nicht mächtig bist oder warst. Deshalb will ich dir in der allgemein verständlichen
hochdeutschen Sprache antworten. Ich kann diesen Brief nur auf gut Glück der Post anvertrauen, die ja im
Allgemeinen, besonders als sie noch eine vollständige und gut situierte Einrichtung war, sehr findig
ist.
Lieber Bernhard, Dein Bericht ist sehr belustigend und zum Teil
sehr sensationell. Natürlich hast Du in manchem auch leicht übertrieben, z.B. wenn Du annimmst, es habe damals als
Du mit dem Schild um den Hals losgefahren bist, in Köln, in ganz Köln niemand gewußt wo dieser Ort Lorup liegt. Da
warst Du schiefgewickelt, lieber Bernhard. Damals lebten in Köln so viele gebürtige Loruper, daß ich sie
wahrscheinlich an einer Hand nicht alle aufzählen könnte, von den vielen anderen Hümmlingern, die Lorup auch gut
kannten, gar nicht zu sprechen.
Aber das leichte Übertreiben ist ja Jungenart und wird auch den
Rheinländern und den Kölschen nachgesagt. Zunächst sind Deine Eltern sehr zu loben, daß sie sich Deine Bildung so
viel haben kosten lassen und Dir das Erlebnis einer unberührten Heidelandschaft auf dem Hümmling finanziert haben.
Eine Bahnfahrt war damals auch schon recht teuer. Besonders wertvoll finde ich Deine Feststellung, daß Lorup mit
dem "hil-ligen Köln" etwas gemeinsam habe. So wie das Köln als hillig bezeichnet wird, so haben wir, besonders
früher und wenn wir nicht mehr im Dorfe wohnten , immer nur von "Sanktus Lorup" ,also vom hilligen Lorup gesprochen
und so heißt es natürlich auch jetzt noch, obwohl man manchmal an seiner Heiligkeit leichte Zweifel bekommen kann.
Besonders wenn man z.B. am 1. Mai, an dem früher vormittags und nachmittags eine gelobte Bittprozession durch die
Felder gemacht wurde, jetzt einer Maifete begegnet, die nicht im entferntesten an Heiligkeit und Frömmigkeit denken
läßt. Aber dafür, lieber Bernhard, wollen wir Dich natürlich nicht verantwortlich machen. Deine Eltern haben
jedenfalls schon recht viel Sinn für Humor gezeigt, dadurch, daß sie Dir dieses schöne Schild um den Hals gehängt
haben. Und das ein neben Dir sitzendes Mädchen den Verdacht geäußert hat, Du seiest wohl doof, das stimmt
natürlich überhaupt nicht. Wir wollen Dir nachträglich noch gern jetzt bestätigen, daß Du keineswegs doof oder
doofverdächtig warst, und das obwohl wir nicht wissen, wie weit Du es mit den französischen - und lateinischen
Vokabeln gebracht hast; ob Du ein so hehres Ziel erreicht hast wie sich das Deine Eltern erträumt
hatten.
Als Du dann nach dieser beschwerlichen Bahnfahrt, mit dem Schild
um den Hals, bzw. an Deinen Koffer lehnend, im Hause Deiner Tante angekommen warst, von da an waren wir beide
ziemlich nahe beieinander, denn ich wohnte damals in einem Bauernhause unweit der Werlter Straße, über die Du Dich
Lorup bei Mondenschein genähert hattest. Deiner Witterung und Deinem Geruchssinn kann ich ein höchstes Lob
spenden und Gedächtnistreue versichern, denn in der Wohnung von Fräulein Huser roch es ganz eindringlich nach
Bohnerwachs und nach Verbranntem. Davon habe ich mich selber ein paarmal überzeugen können, als ich mühsam die
steile Holztreppe heraufgeklettert war, um irgend etwas in der Wohnung zu besorgen. Selbst noch viele Jahre später,
als ich mit meiner damaligen Braut mich vorstellen wollte bei Fräulein Pennemann, die in der gleichen Wohnung
Quartier bezogen hatte, konnte ich feststellen, daß dieser eindringliche Geruch nach Bohnerwachs noch immer das
Fluidum dieser Behausung stark charakterisierte. Dein Geruchsinn also in höchsten Ehren. Die Tannenzapfen, die Du
dort vorgefunden hast, die hatte ich wahrscheinlich mitgesammelt in unseren Kiefernwäldern, in denen es von der
Sorte immer genügend gab und die sich Fräulein Huser gerne sammeln ließ zum Anzünden ihres Ofens.
Huser, Deine Tante, war nämlich zu jener Zeit meine Lehrerin, der
ich meine ersten Kenntnisse im ABC, der hochdeutschen Sprache verdanke. Hier möchte ich mit diesem Brief, an Dich
zugleich auch meinen Dank an Frl. Huser abtragen, für eine sehr gute, eindrucksvolle und korrekte Tätigkeit als
Lehrerin. Sie lehrte uns aus einer Fibel, in der die einzelnen Buchstaben durch ein entsprechendes symbolhaftes
Bild erläutert und dargestellt wurden. Bei dem Buchstaben ei , erinnere ich mich , befand sich ein Eiernest. Da
ging uns das ei natürlich leicht ein und bei dem Buchstaben i sehe ich noch den kalten Wasserstrahl aus einer Pumpe
kommen, unter den ein Junge seinen Finger hielt und das i dabei in den Raum sprach. Das i des kalten Wassers
leuchtete mir deshalb besonders ein, weil ich zur damaligen Zeit vom Wasser und vom Waschen keine große Meinung
hatte. Noch später wurde mir von meinen Geschwistern vorgehalten, ich habe, wenn ich gewaschen werden sollte, als
Kleinkind immer gerne Reißaus genommen, mit der Begründung: 7, daet Waoter is so naett!"
Der Regen, lieber Bernhard, der Dich um Deine Nachtruhe, in der
Bade -wanne gebracht hat, wenn er auf Blech gefallen ist, fiel nicht auf das Dach der Lehrerwohnung, sondern auf
den angrenzenden Teil einer sogenannten Badeanstalt. Das war eine hygienische Errungenschaft unseres Dorfes aus der
Zeit der Jüberkulosebekämpfung. Gleich neben der Lehrerinnenwohnung, schloß sich nämlich die Badeanstalt mit einem
Flachdach an, auf dem nach meiner Erinnerung, sehr viel Blech zum Abdecken benutzt worden war. Da hat Dich offenbar
Dein Gehör etwas getäuscht. Das Trommelkonzert von den Holzschuhen, in der Kirche im abendlichem Gottesdienst, das
Dich so sehr aufgewühlt hat, ist nur nicht so leicht verständlich. Eigentlich müßte ich mich entschuldigen, weil
ich sicherlich auch damals mit Holzschuhen zu diesem Lärm beigetragen habe. Ich könnte mir denken und habe die
Vermutung, daß Du als Großstadtjunge von Köln, einer der ersten warst, die damals schon hörgeschädigt waren durch
den Großstadtlänn. Vielleicht könnte das sein, denn für uns war das Rumpeln und das Grollen der Holzschuhe ein
ganz beruhigendes Zeichen das sich etwas bewegte und etwas tat in der Kirche. Die Schilderung Deiner Tante im
schwarzen Lehrerinnenkleid ist sehr zutreffend. Sie war noch eine der letzten Lehrerinnen, die dieses schwarze
Lehrerinnenkleid, das wie ein Ordenshabit wirkte, ständig trug. Sie war eine stattliche Frau, gut gewachsen, das
ließ sich auch noch unter diesem Kleid deutlich erkennen. Der Kragen war hochgeschlossen bis zum Hals und den Hals
zierte meist noch ein Samtband. Vorne glänzte eine große Gemme als Brosche und um die Taille war eine gürtelförmige
Einschnürung. Die Schuhe waren hochgeschnürt und hatten schon, so weit ich mich erinnere, etwas angedeutete
Stöckelabsätze. Fräulein Huser kniete bei jedem Gottesdienst, werktags und sonntags,
neben den Kindern auf der Knabenseite im kleinen Chorgestühl. Ohne
viel Worte verkörperte sie Autorität und es genügte ihr Finger oder ein Blick aus ihren leuchtenden Augen, um uns
in die Schranken zu verweisen.
Auch Deine Großmutter habe ich recht gut gekannt und sie in der
Umgebung der Schule und auf dem Kirchweg des öfteren begrüßen können. Wahrscheinlich habe ich sie auch als
Meßdiener auf ihrem letzten Weg, zu der Ruhestätte auf den Friedhof, mit einer schwarzen Fahne begleitet. In
Erinnerung ist mir noch ein auffälliger Grabschmuck. Auf dem Grab Deiner Großmutter lag noch viele Jahre ein
gläsernes Herz mit glänzender Umrandung und eingeschlossenem, blumigen Inhalt.
Ich habe auch noch eine Überraschung für Dich lieber Bernhard in
meiner Erinnerungen. Es gab nämlich zu der Zeit, als Fräulein Huser uns in der ersten oder zweiten Klasse
unterrichtete, zwei kleine Mädchen, die sie besuchten; das waren wie sie uns erklärte ihre Nichten. Ich weiß auch
noch die Namen dieser beiden kleinen Mädchen. Die eine hieß Irmgard und die andere hieß Ilse. Die eine hatte eine
auffällige Gret-chenfrisur und die andere hatte, so weit ich mich erinnere, etwas kürzeres Haar. Ich meine mich
auch zu erinnern, daß die eine von ihnen Schulz hieß, Irmgard Schulz. Wenn das zutrifft, wäre es Deine Schwester
gewesen, lieber Bernhard. Du siehst, ich wußte schon mehr von Dir als Du geahnt hast. Diese beiden kleinen Mädchen
waren noch vorschulpflichtig aber natürlich, wie das bei der Verwandtschaft einer Lehrerin nicht anders sein
konnte, besonders wißbegierig und intelligent. Sie konnten mit Knetstoff schon allerhand Gegenstände, Tiere und
auch Buchstaben formen. Das erregte unsere ungeteilte Bewunderung. Außerdem wohnte zeitweilig bei Fräulein Huser,
auch noch einer ihrer Brüder, der sein Zuhause damals in Hunteburg hatte, das müßte also auch ein Onkel von Dir
gewesen sein. Was ich jetzt weiter berichten kann ist Dir, lieber Bernhard, vielleicht besser bekannt als mir, aber
für viele Loruper und viele ehemalige Schüler von Fräulein Huser vielleicht
doch wissenswert. Von Lorup aus wurde Fräulein Huser später nach Haselünne versetzt, wo sie noch längere Zeit als
Lehrerin tätig war und später sich auch zur Ruhe gesetzt hat. Auf einer Fahrt nach Lorup, mit meiner Familie und
meinen, damals noch kleinen Kindern, habe ich einmal mir ihre Adresse besorgt und ihr dann in der kleinen Wohnung
in Haselünne, mit meinen Kindern, nach Einstudierung durch meine Frau, ein Ständchen gebracht. Dieses späte
Dankeschön hat auf die nun schon etwas ältere Lehrerin einen tiefen Eindruck gemacht. Die Verbindung ist danach
zwischen uns nicht mehr abgerissen. In den letzten Lebensjahren hat Fräulein Huser Haselünne verlassen und ist zu
einer Schwester, vielleicht war es sogar Deine Mutter, lieber Bernhard, nach Wilhelmshauen gezogen. Von dort hat
mich auch wenige Jahre spater die Todesnachricht erreicht. Ich konnte über Fleurop, auch im Namen aller meiner
früheren Mitschüler, ein letztes Dankeschön, in Form von Blumen auf ihr Grab legen lassen.
Damit, lieber Bernhard, will ich mich von Dir verabschieden und
hoffe, daß ich Deiner letzten Frage, wen Dein Bericht interessiere, genügend und ausführlich genug beantwortet
habe. Du brauchst also Deine damalige Fahrt nach Lorup nicht bedauern, denn Du hast von uns noch die späte
Zusicherung bekommen, daß Du keineswegs doof warst oder bist und Du weißt noch etwas mehr über Deine liebe Tante
Theresia und über Deine Großmutter in Lorup.
Lebe wohl, lieber Bernhard und Aufwiedersehen bei Gott.
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