„Neue Stiefel – stillgestanden!“
Abschiedsrede an ein Paar alte Knobelbecher
Pariser Zeitung 10.Juli 1941
Ich habe ein Paar neue Stiefel bekommen. Die alten waren zu schlecht. Das Wasser drang durch
die Nähte, und vom Salz des Meeres war das Leder morsch geworden. „Sieh dir das an“ sagte der Gefreite in der
Handwerkerstube. Er konnte die Falten überall mit dem Daumen eindrücken und das Leder brechen. Es roch ein wenig
nach Schweiß und Stiefelschmiere. Es war der alte gute Geruch, den Stiefel haben, und es tat mir leid, dass ich
sie nun abgeben musste. „Ich habe ein Jahr darin gewohnt", sagte ich.
„Gewohnt", lächelte der Gefreite, „ja, das ist es. Wohnen . . . wir wohnen darin wie in einem Haus." Als Schuster
neigte er dazu, sich Gedanken zu machen.
„Wenn ich überlege, dass diese Stiefel einmal neu gewesen sind . . ." Die Trennung fiel mir schwer. Ich hob die
Stiefel noch einmal auf und schaute sie an. Wie oft hatte ich sie geputzt und die Schäfte gewienert und den Fuss
mit dem Handballen weich geknetet! Alles in allem mochte ich an Zeit wohl vierzehn Tage damit zugebracht haben,
sie instand zu halten. Vierzehn Tage in einer Tour Stiefel putzen! Auf welche Gedanken ich verfallen konnte! Das
machte sicherlich der Geruch des Leders. Auch die Schuster aller Zeiten mussten ja von irgendwas so nachdenklich
geworden sein.
„Aber die Schäfte sind noch gut", sagte ich.
Der Gefreite klopfte seelenruhig weiter. Seinetwegen konnten die Schäfte gut sein.
„Schade, nicht wahr?"
„Wieso?" brummte er. „Denkst du vielleicht, die kommen jetzt in ein Museum? Schuhzeug eines gross deutschen
Infanteristen um 1940 oder etwas Ähnliches? Schätze, die werden in der Heimat aufgemöbelt und in Dienst gestellt.
Ersatzbataillon! Wird mancher Rekrut noch kennenlernen, deine Antilopen."
Knobelbecher, Wehrmachtsantilopen, Gurken . . . Die Landser haben ihre eigene Sprache, sie finden für jedes
Ding einen lustigen Namen. „Antilopen, das haut hin", sagte ich. „Wie viele Kilometer die wohl gemacht haben!"
„Tja, das sag auch man!" Der Gefreite guckte mich an, als begänne er jetzt erst, mich voll zu nehmen. „Schätze, du
hast im Gefechtsfahrzeug gelegen, so mit dem Kopp auf den Handgranaten, Du Krücke."
Das war mir denn doch zu viel. Krücke? Ich hatte nicht ein einziges Mal abgebaut, auf dem ganzen Feldzug nicht.
Aber ich wollte mich durch einen lächerlichen Kommandierten nicht aufregen lassen, schliesslich wusste ich ja gut
genug, wer marschiert war und wer nicht. Ich lächelte, und auch der Gefreite wurde ganz freundlich, wir kamen
grossartig miteinander aus, und wenn er es meinte, dann wollte Ich gern eine Krücke sein.
„Hör zu, du Gangster", sagte ich. „Schätze, daß zehntausend Kilometer herauskommen.“
„Bin ich ein Statistisches Amt?" erwiderte er. „Aber zehntausend werden es todsicher sein. Schätze." Dieses
„schätze" hatten wir uns angewöhnt. Es war nicht mehr herauszukriegen. Wir sagten bei jeder Gelegenheit
„schätze". Schätze, dass wir den Krieg gewinnen, und so weiter. Ich fing also bei kleinem an, meine Heldentaten zu
preisen, es würde sich vielleicht ausrechnen lassen, wie viele Kilometer es gewesen waren. Da war erst der Marsch
durch die Eifel, im September. Dann die Wege als Posten am Westwall, in Schnee und Eis und Regen. Marschtage an der
Saar. Worms. Die langen kühlen Nächte am Rhein. Quartiere im Ruhrgebiet. Sechzigkilometermärsche. Die Tage der
Vorbereitung. Der Vormarsch durch Holland und Belgien nach Frankreich, bis ans Meer.Au ha, die Stiefel hatten
ihr Teil gesehen von den Strassen des Krieges. Sie hatten die Heimat verdient. Ich durfte es ihnen nicht
übernehmen, wenn sie Falten zogen. Sie waren Veteranen unter den Stiefeln, altehrwürdige Vertreter ihres
Geschlechts. „Neue Stiefel - stillgestanden!" Ich begann tatsächlich, eine Rede zu halten, einen Abgesang
sozusagen. Ich pries die alten Stiefel und stellte sie den neuen als Vorbild hin. „Ihr seid famose Treter", rief
ich, „ihr habt nicht sehr gedrückt, und ihr habt mir auch sonst keinen Kummer gemacht, ihr habt . . . ihr seid
..."
Schließlich merkte ich, dass ich lauter dummes Zeug redete. Ich war nun einmal so. Es kam im übrigen auch gar nicht
darauf an. Es war nur, weil man seinen Stiefeln ja etwas schuldig war. Was, wusste ich nicht. Mindestens aber
doch ein paar gute Worte... Mit einem Seufzer quälte ich dann meine Ferse in den neuen, gelben, strammen
Stiefel.
|