Der Steinhauer
Erzählung von Bernhard Schulz
Kornelius Grauwacker ist der Meister jenes kleinen Steinbruches oben in den Bergen, darin auf
sonnheißem Gestein die Feuer-salamander ruhen und aus allen Ritzen und Schründen glühgoldener Ginster bricht.
Tagaus, tagein hier stehen und Steine wuchten, den Meißel ansetzen und den kurzstieligen Hammer schwingen wie einen
Trommelstock, von der Sonne sich braten lassen, den Wind schmecken wie Wein und den Regen auf der heißen Brust
verdampfen spüren, das ist harter Männer Brot. Dennoch freut es den Kornel, dass er hier oben stehen darf und Herr
ist über den Bruch. Kornel hat sieben Kinder, vier Buben und drei Mädel. Der Älteste geht bei einem Bäcker in die
Lehre.
„He, lies das!" sagt Kornel. „Die Gesellschaft schreibt, ich soll ein paar Wochen in den Westerwald kommen und dort
einen Basalt-steinbruch in Gang bringen. Was meint ihr denn, werdet ihr hier 'eine Zeitlang alleine fertig, was?"
„Wohl, wohl", nicken die Arbeiter, „du magst ruhig gehen, Kornel, glauben schon, dass es ohne dich geht. Das
glauben wir, ja."
Am Nachmittag sitzt Kornel an seinem Tisch daheim und liest den Brief, den die Gesellschaft geschrieben hat. Er
bekommt oft Briefe, Bestellungen und Abrechnungen, sie liegen bündelweise dort in seinem Schrank, aber dieser Brief
hier ist anders als jene, die er bisher empfing. In seinem Herzen wogt es hin und her, Angst und Stolz und guter
Wille und die Furcht, davonfahren zu müssen. Westerwald, hm, hm . . . Einen neuen Steinbruch in Schwung bringen,
die Arbeiter anweisen, auslohnen und unter die Lupe nehmen - das soll er also?
Kornelius Grauwacker ist der Kerl dazu, etwas Neues in die Wege zu leiten und so ins Rollen zu bringen,dass den
feinen Herr-schaften in ihrem Büro in der Stadt der Kalk aus den Ohren rieselt. Ihr müsst euch diese Fäuste einmal
angucken, he! Es sind breite, schwere Pranken, denen kein Stein zu rau ist. Hau, ruck . . . hau, ruck! Kornel reckt
sich hoch am Tisch. Um seine Füße spielen die kleinen Buben, die Mädchen klappern beim Spülen mit dem
Küchen-geschirr, und die Frau sitzt an der Nähmaschine. Es ist ein Bild voller Behaglichkeit und Glück. In allen
Winkeln nistet hier Frieden, Gesundheit. Der Friedel, sein jüngster Bub, nestelt ihm jetzt schon wieder die
Schuhriemen auf, das kleine Kerlchen ächzt vor Eifer. „Am Montag also", sagt Kornel, „muss ich fort." Er legt
plötzlich sein Messer hin, schiebt die Tasse weg und stemmt beide Arme auf den Tisch.
Die Frau sieht ihn groß an: „Was sagst du — fort? Ja, lieber Himmel, wohin denn?" Seit dem Kriege ist der Mann
nicht mehr von Zuhause weg gewesen; sie kann es sich nicht vorstellen, wie ein-sam es ist, wenn da nicht jeden
Abend aus den Wäldern herab einer kommt und mit schwerem Schritt in die Schlafkammer stampfte. „Jaja", sagt Kornel,
„es ist so. Ich soll ihnen voranhelfen, sie wissen nicht mehr, wohin mit so einem Steinbruch. Das will gekonnt
sein, scheint mir." Er hat jetzt wahrhaftig zu dick aufgetragen. Eigenlob stinkt. Kornel reicht den Brief hinüber.
„Ich will das machen, Mutter", sagt er rot und lächelnd, „es tut einem gut, mal woanders zu sein."
„Ja", sagt die Frau. Auch sie lächelt jetzt. Sie will es ihm leicht machen, aber in ihrem Innern zuckt es weh. Ach,
sie weiß gar nicht, was so ein Mann bedeutet. Alle Tage ist er da und sorgt und kauft Brot und pflanzt Gemüse und
weißt die Wände, wenn es sein muss. Kornel knurrt nicht und faulenzt nicht, er trinkt wenig, und er läuft auch
nicht fremden Schürzen nach. Plötzlich tropfen der Frau die hellen Tränen in den Schoß, sie weiß weder ein noch
aus. Mit den Händen muss sie das Kind halten, und so können der Mann und die großen Kinder sehen, dass die Mutter
weint.
Kornel steht auf und nimmt die Hand der Frau in die seine, er lächelt und brummt gutmütig grob vor sich hin:
„Mutter, Mutter ..." Er hat dies kommen sehen, ja, er wusste genau, dass es der Frau schwer sein wird, mit den
Kindern allein zu sein, mit den Tiere im Stall und mit den Leuten, die tagsüber mit ihren Anliegen kam mein; denn
Kornel ist ein angesehener Mann unter den Seinen.
„Du musst aber sofort schreiben", sagt die Frau, „wir wollen do - wissen, ob du gut angekommen bist und ob es in
der Baracke nachts nicht zu kalt ist und ob du Strümpfe haben musst und . . . und „Ja", sagt Kornel, „jaja, Mutter
natürlich!" Auch dies noch. Schreiben, ob es in der Baracke nicht zu kalt ist . . . Nun ja, am Schreiben ist nicht
viel gelegen, ein Bleistift wird wohl noch zu finden sein. Damals, als er im Felde war, in Frankreich, da hat er
seiner Mutter geschrieben, ob die Kartoffeln gut herausgekommen wären und was sie im Steinbruch machten, und er
wäre im ganzen dreimal verwundet gewesen, einmal verschüttet, und er ließe alle daheim grüßen, auch die Martha von
nebenan. Den Brief damals hatte er im Graben geschrieben, niedergekritzelt auf dem Kochgeschirrdeckel. Zwei Stunden
später hatten sie einen Angriff gemacht... Das ist nun zwanzig Jahre her, sinnt Kornel, seither habe ich keinen
Brief mehr geschrieben . . . Aber gut, ich will der Frau den Gefallen tun. '
Am Montag reist Kornel Grauwacker, seines Zeichens ein Steinhauer und in Ehren bestallter Bruchmeister, in den
Westerwald. Um die Mittagszeit wird er in dem kleinen Dorf ankommen. Sie haben alles genau in Erfahrung gebracht.
Mit Brot und warmem Kaffee ist Kornel gut versorgt, Frau Martha hat es an nichts fehlen lassen. Als es mittags über
die Dächer hinläutet und die Frauen mit ihren Eßtöpfen in den Wald hinauf keuchen, sagt Martha zu den Kindern:
„Jetzt ist der Vater da. Hoffentlich geht alles gut." Am Abend, nach-dem das Bähnchen aus der Kreisstadt
eingelaufen ist, eilt die Frau zur Post und klopft ans Fenster, ob ihr Mann geschrieben habe und ob es in der
Baracke wirklich nicht zu kalt sei, jetzt im Frühjahr. Das Herz schlägt ihr laut gegen die Hände, die unter dem
grünen Umschlagtuch ineinander gefaltet sind.
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