Ein weltberühmter Mann
Von Bernhard Schulz 11.02.1959
Zu Ehren des großen Komponisten, der seine Sinfonie selbst dirigiert hatte, fand nach dem
Konzert ein Festmahl statt. Nur die hervorragendsten Bürger der Stadt waren zu diesem Essen eingeladen worden. Der
Komponist besaß einen weltberühmten Namen. Jede Stadt in jedem zivilisierten Land hätte es sich zur Ehre
angerechnet, dem Dirigentenstab des Meisters folgen zu dürfen. Er war ein sehr bescheidener, sehr gütiger und sehr
freundlicher Mann, der Komponist und er machte sich nichts daraus, dass er berühmt war. Und nun sollte er den
Vorsitz bei Tisch führen und womöglich gar mit seinem Dirigentenstab ans Sektglas klopfen und eine Rede halten.
Nun ja, er konnte reden. Er konnte sogar vorzüglich reden; denn er war Professor an einer Hochschule gewesen. Aber
er spürte diesmal nicht die geringste Lust, seinen Gastgebern gefällig zu sein. Am liebsten wäre er aufgestanden
und weggegangen. Er hatte, wie fast alle Künstler, einen Hang zur Würstchenbude und zum Schwatz in Stehbierhallen,
wo er mit Straßenbahnschaffnern, Lokomotivführern und Vorsitzenden von Kleingärtnervereinen verkehrte, die er zu
fragen pflegte, was sie vom Wetter hielten und ob sie einen guten Witz gehört hätten.
Als der berühmte Komponist an der Tafel erschien, im Frack natürlich, wie es sich gehörte und die Frau Komponist
trug ein schwarzes Abendkleid und einen Strauß roter Rosen im Arm, da setzten sich alle hin und ließen kein Auge
vom berühmten Komponisten. Und alle warteten gespannt auf die Rede. Der Komponist, der gleichzeitig Dirigent,
Hochschullehrer, Briefmarkensammler und Kakteenzüchter war und es in jedem dieser Ressorts zur Berühmtheit gebracht
hatte, dachte gar nicht daran zu sprechen. Er aß und trank und enttäuschte die Honoratioren sehr.
Die Herrschaften hatten sich einen Mann vorgestellt, der ihnen die Geheimnisse seines Ruhmes entschleiern würde,
indes sie selbst an Geflügelsalat, gespickter Rinderbrust und Oppenheimer Krötenbrunnen sich labten. Sie konnten
nicht begreifen, dass ein Meister nicht immer Lust hat, berühmt zu sein. Ich nehme an, dass Männer von der Art des
Komponisten recht genau wissen, mit wem sie zu Tisch sitzen und warum sie partout schweigen. In das Anschauen
hinein, das nur vom Knallen der Sektkorken ein wenig gelockert wurde, richtete eine Dame der Gesellschaft folgende
Worte an die Frau des Komponisten: „Nun, wie fühlen Sie sich als Gattin eines so berühmten Mannes?“
Dem Komponisten fiel nicht das Glas aus der Hand. Auch standen ihm nicht die Haare zu Berge. Im Gegenteil, er
schmunzelte. Es machte ihm Spaß, dass sich die Dummheit solcherart selbst entlarvte. Jetzt konnte er sicher sein,
dass zumindest die Damen seiner Sinfonie nicht gefolgt waren.
„Sie müssen wissen, Frau Generaldirektor“, sagte die Lebensgefährtin, „dass sich mein Mann gar nicht berühmt
vorkommt. Wir bewohnen eine Drei-Zimmer-Wohnung ohne Mädchen und nach Tisch steht mein Mann in der Küche und hilft
beim Abwaschen. Und dann dreht er die Kaffeemühle, was ihm besonders viel Vergnügen macht. Nachmittags gehen wir
auf dem Lande spazieren und unterhalten uns mit den Bauern über die neuen Kirchenfenster und schauen uns die Ferkel
an und die Bauern ihrerseits beginnen mit meinem Mann ein Gespräch über Philatelie und Kakteenzucht. Bisweilen
bleiben wir dann in solch einer Bauernstube bis spät in den Abend hinein sitzen und kein Mensch verdächtigt uns des
Ruhmes.“
So, da hatte es die Frau Generaldirektor, und was die Frau Komponist gesagt hatte, war die reine Wahrheit; denn
Leute, die viel Geld besitzen, erwarten nicht, dass der Mensch auch im grauen Alltag das Glück findet. Die Sinfonie
des weltberühmten Komponisten war nämlich der musikalische Ausdruck für die Weisheit der begnadeten Greise, dass
Glück nicht im Überschwang des Erlebens, sondern in der Einfachheit der Liebe zweier Menschen wurzelt.
Die Sinfonie war keine Schnulze, die Sinfonie war ein Opus. Aber das wusste die gnädige Frau nicht.
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