Seine Hoheit, der Hahn

Auf dem Hühnerhof hat die Gleichberechti­gung noch nicht um sich gegriffen. Die Hahne geben den Ton an, und was sie krähen, das scharren die Hennen ins Erdreich ihrer Gehege. Hähne scharren nicht. Sie haben das nicht nötig. Hähne nehmen Futter auf, und in der übrigen Zeit stehen sie da, werfen sich in die Brust, spreizen ihr Gefieder und wetzen ihren Sporn. Wir wissen, dass Hähnchen, wenn sie aus dem Ei geschlüpft sind, meuchlings ausgerottet oder als Masthähnchen vernascht werden. Unter zwanzig Hähnen bleibt immer nur ein einziger am Leben. Aber gerade diese Auserwähltheit, dieses Ueberspringen der Todeszone, formt den verbliebenen Hahn zur Persönlichkeit. Ueber einen Geflügelhof als Gebieter ein­gesetzt, waltet er seines Amtes mit adliger Arroganz.
Die Natur hat die Hähne prächtiger aus­gestattet als die Hennen. Hähne sind größer, bunter, man möchte sagen: geräumiger. Die Schönheit eines Gockels misst von der schil­lernden Ellipse der Kopfrundung bis zum äußersten Wuppdich der Schwanzfeder. Da­zwischen schreitet ein vielfältiges Schöpfungs­wunder an Körperbau, üppig schwellendem Kamm, elfenbeinernen Ohrscheiben, blitzen­den Augäpfeln, honiggelben Reiterbeinen, fruchtbaren Absichten und machtvollem Ge­habe.
Der Clou des Hahnes ist der Sichelschwanz. Diese Sichel ist geradezu ein Vollmond an Eitelkeit und Hochmut. Bei den Hähnen heißt das Sprichwort: „Hochmut kommt vor den Bratentopf."
In der Schwanzpartie entfaltet sich die Würde des Hahnes als Pascha. Zweifellos ist er dank dieser Rolle allen anderen Haustieren überlegen. Wer ist immer oben? Der Hahn. Von der Teppichstange oder vom Wäschepfahl herab lässt er seine blitzenden Aeuglein durchs Revier schweifen. Unter ihm – er achtet kaum darauf – begnügen sich die Hennen damit, Würmer aus dem Boden zu zerren und Kalk zu picken. Selbst auf dem Mist verliert seine Hoheit seine Nimbus nicht. Der bäuerliche Misthaufen, diese Warze am Leib der Erde, ist sein Thronsessel.
Hennen plustern sich, dass ist alles. Aber die Hähne kümmern sich um dass, was vorgeht. Sie nehmen Anteil an der Tätigkeit der Mensch. Sie schreiten auf und ab, sprühen Feuer, streuen Futter umher und krähen. Krähen ist das Vorrecht der Hähne. Sie dürfen krähen, so oft es ihnen Spaß macht. Den Hennen ist das Gackern nur erlaubt, wenn sie ein Ei gelegt haben. Sie legen ihre Eier in der Stille. Eier legen ist keine Kollektivarbeit. Die Psyche des Huhnes ist nicht darauf abgestellt, im Angesicht ihres Herrn ein Ei zu hinterlassen.
Der Schrei des Hahnes steckt an, wir kennen das aus dem dörflichen Anschauungsunterricht. Er schreit nie der einzelne Hahn, alle zusammen erheben sie ihre Stimme zu einem Chor der Lebensfreude, zu einem Heissassa der Daseinslust.
Gerecht betrachtet ist freilich das Ei der Sinn der Bemühungen unseres Gockels. Das Ei ist die Keimzelle der Lebenskraft. Ohne Ei kein Hahn. Ohne Hahn nur faule Eier. Lassen wir die Hähne in dem Glauben, als ginge es in der Hauptsache um sie. Es ist so schön, Hahn zu sein.