Kulturkämpfer! Theurer Herr Schulz!

Hätten Sie für möglich gehalten, dass Ihnen noch einmal ein freudiges Ereignis bevorstehen würde? Na, sehense! Morgen bricht es über Sie herein, da machen Sie etwas voll, und Ihr einstiger künstlerischer Sonderberather und Chefmitarbeiter gedenkt in unbeirr­barer Treue Ihrer werthen Person und lässt Sie ungeniert hochleben. Ich höre Sie seufzen: "Schön und gut! Aber in 30 Jahren beginnt mein Lebensabend, wer weiß, ob mir dann das Dichten noch so leicht und zügig von der Hand geht wie jetzt..."
Richtensesich an Ihrem Vorgänger Tedje Fontane auf, der begann in Ihrem Alter erst mitti großen Knüllers loszulegen, mit der Effi, mit Unwiderbringlich, mittem Stechlin und vielen anderen Radikalknüllern und Bestsellern. Also jetzt nicht mitti Birne schlackern, sondern frisch zum Montblanc-Halter gegriffen und wie närrsch losjeschrieben!
Verfasser dieser geehrten Zeilen mußte erst unlängst Wieda dranne denken, daß im kommenden Monat mein Antritts- und Höflichkeitsbesuch bei Ihnen 30 Jahre zurückliegt. Ich werde sicher in 30 Jahren nicht mehr so mörderisch rackern, um die Verleger zu mästen, sondern arsch kurz treten und zwischendurch an die Rente 'rumknabbern, sofern mir Martina nicht regelmäßig stattliche Zuwendungen macht. Wissensenoch, wiese mir inne Silvesternacht 1959/60 die Ehe versprach und abwechselnd Stein und Bein schwor, keinen anderen Mann zum Traualtar zu schubsen wie mich? Was ist aus diesem Verlobungsgelöbnis geworden? Dschuhseppel Verdi hat darüber in seiner Oper "Ringelotto" sogar eine Arie geschrieben!
Ach, die Treulosigkeit hat Martina von Ihrer Gemahlin­gattin geerbt, die sich jahraus, jahrein am 21. März ver­steckt oder das Telefon unters Sofa schiebt und dort bimmeln läßt, egal, wie oft ihr verzweifelter East-Schwiegersöhn anruft, um seine Segenswünsche abzuliefern. Habe denne auch an den folgenden Tagen omamüdlich anjerufen, aber nie war jemand bei Ihnen im trauten Heim anzutreffen. Obsesich eine Vorstellung von meiner Verbitterung machen können? Zwar erfolgte dann nach längerer Zeit ein Rückruf (der auf Band jesprochen wurde) - aber da war ich a) in Dänemark auf meinen Ländereien und b) nach meiner Rückkehr innen Konzern zu aufjebracht und enttäuscht, um nun meiner­seits einen weiteren Anlauf zu machen. Schmerz und kalte Wuth schlugen umso höhere Wellen, als auch in den zurück­liegenden Jahren Ihre Himmlische an ihrem Triumphtage stets aushäusig war. Und an den folgenden Tagen ebenfalls!
Wenn man schon so schön und prunkvoll wohnt wie Sie...warum müsse die denn gerade in der letzten März-Dekade in die Gegend rumrasen?
Von mir gibt's wirklich nischd zu berichten, nur die seltsame Reaktion im Freundes- und Bekanntenkreis, wenn ich auf mein Alter zu sprechen komme und beiläufig erwähne, ich sei ja noch klar im Koppe und körperlich rüstig. Übereinstimmend heißt es dann immer: "Mit dieser Ansicht dürftest du aller­dings auf der ganzen Welt allein dastehen..." Und dann wirft man sich vielsagende Blicke zu, Ausdrücke wie "fleischlicher Hintritt", "Beisetzung" und mein Werbeslogan von einst ("Die Feuerbestattung verleiht deinem Ende menschliche Wärme") fallen wie von selbst, und immer häufiger werde ich gefragt, wo mein Testament deponiert sei.
Bewahren Sie mir eine milde Beurtheilung, feiern Sie recht turbulent und ausgelassen und grüßen Sie unsere Angehörigen!

WERNER LÜNING

Konzern für Dichtkunst & Meistergraphik

Spezialgebiete: Auflagensteigerungen & Verlagssanierungen

Leiter der Aktionsgemeinschaft »Rettet die deutschen Verlegerl«

LÜBECK am 21. April 1983