Picknick am Mittelmeer

Picknick am Mittelmeer 

Um zu vermeiden, daß uns der Leser der völligen Kritiklosigkeit bezichtigt, sei vorweg vermerkt, daß dieser Hin­weis auf ein schmächtiges Bändchen spanischer Reiseskizzen in bewußt posi­tiver Voreingenommenheit erfolgt. Wie sollte es auch anders sein, da die hier gesammelten und so brillant geschilder­ten Begegnungen und Beobachtungen bis auf wenige bereits einzeln in der WELT veröffentlicht worden sind. Es wäre ja höchst sonderbar, wollten wir unser Vergnügen an den funkelnden Feuilletons von Bernhard Schulz nun angesichts ihres Erscheinens als Buch nachträglich zunichte machen und unser früheres Urteil, das uns immer wieder veranlaßte, die Reise-Epigramme dieses witzigen und kritischen Autors unseren Lesern darzubieten, jetzt mit einem Male Lügen strafen.
Im Gegenteil: seit gebündelt vorliegt was nur verstreut und damit so gut wie überhaupt nicht mehr oder nur sehr schwer zugänglich war, sind wir in unserem Vergnügen an diesem Autor nur noch mehr bestärkt worden.
Bernhard Schulz besitzt als Reisender eine fast abhanden gekommene Fähig­keit, Einzelheiten  zu  sehen  und mit Worten   wiederzugeben.   Mit „photo-graphischer Treue" hat das ganz und gar nichts zu tun. Schulz nimmt wahr mit Auge und Ohr, macht sich seine Gedanken darüber, und was er zu Papier bringt, ist gedeutete Wirklichkeit. So entsteht aus bunten Steinchen ein farbleuchtendes, in diesem speziellen Fall spanisches Mosaik.
Landschaft und Mensch kommen uns hierbei viel näher als bei Verfassern dickleibiger Reiseberichte. Wer Spanien bereist hat und zu kennen glaubt, wird durch Schulz entweder in seinem Glau­ben schwankend gemacht oder darin bestärkt, je nachdem, wie ernst er sich das Eindringen in ein fremdes Land angelegen sein läßt. Wer noch keinen Fuß auf spanischen Boden gesetzt hat, wird die starke Verlockung verspüren, dieses, trotz allem gelenkten Tourismus noch immer abseits liegende und seinem Wesen nach wenig erschlossene Stück europäischer Erde mit eigenen Augen zu sehen und eine Weile unter seinen Bewohnern zu leben. Allerdings mög­lichst unabhängig von jedwedem Schwärm eigener Landsleute. Schulz ist der ideale Führer für Alleingänger, die ohne vorgefaßte Meinung reisen.
In dieser vorweihnachtlichen Atem­pause zwischen den großen Reisezeiten des Jahres wird die photographische Ernte der letzten Ferien eingebracht und in Alben oder Diapositivkästen ge­stapelt. Neue Pläne für den Winter- ­oder nächsten Sommerurlaub werden geschmiedet. Was kann in einer solchen Spanne des Überlegens willkommener sein als das Büchlein eines Autors, dem man sich getrost anvertrauen darf und der zudem bei aller Gewissenhaftigkeit ungewöhnlich unterhaltsam ist. Schulz sieht viel mehr als mancher andere, schreibt jedoch kein überflüssiges Wort. Seine Feuilletons hören genau in dem Augenblick auf, in dem man es nicht vermutet. Seine schriftstellerische Selbstdisziplin ist bewundernswert und daher jede Schlußpointe überraschend.

Picknick am Mittelmeer erinnert an einen längt dahingegangen Meister des Reisefeuilletons, an Victor Auburtin, der jahrelang als Korrespondent des Berliner Tischblattes aus Spanien berichtet hat. Wir meinen, es gäbe keine ehrenvollere Auszeichnung für Bernhard Schulz als die, mit seinem anspruchslos-gewichtigen Spanienbändchen, das Do­rothee Tilgner in origineller Anpassung an Autor und Gegenstand farbig illu­striert hat, die Erinnerung an einen großen Vorgänger beschworen zu haben.    

Die Welt, 1961

Bernhard Schulz ist in Spanien gewesen und hat aufgeschrieben, was er dort gesehen hat. Viele Schriftsteller haben es ähnlich gemacht. Auf diese Weise haben die Buch­händler Hunderte, nein, Tausende von Reisebüchern mit einem stillen Seufzer in ihre Schaufenster gelegt. Denn diese Bücher pflegen keine Bestseller zu sein und auch keine literarischen Leckerbissen.
Gibt es Ausnahmen? Ja, es gibt Aus­nahmen. Victor Auburtin z. B. ist eine. Seine Reisebücher sind Leckerbissen. Sie haben mit dem Land, das er schildert, nicht soviel zu tun wie mit dem Charme, dem Humor, dem Lächeln, kurzum mit dem Stil und der Prägnanz des Autors. Auch Bern­hard Schulz ist eine solche Ausnahme, und auch für ihn gilt, Punkt für Punkt, was hier über Auburtin gesagt wurde. Kann es ein größeres Lob geben?

Bremer Nachrichten, 1961



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