Die Schöne und das Trampeltier
Im Zoo wurden kürzlich modische Strickwaren fotografiert. Es handelte sich dabei um eine
Frühjahrs und Sommerkollektion für das kommende Jahr. Es war dort zu sehen, was uns demnächst zum Kauf angeboten
wird, sobald wir die Dunkelheit des Winters überwunden haben. Die Mode ist uns allen ja immer um ein volles Jahr
voraus.
Im Winter werden wir in den Journalen bereits jene Aufnahmen betrachten können, die an einem
goldenen Spätsommernachmittag im Zoo entstanden sind. Dann sehen wir hinter dem Mannequin Brigitte, das ein
zukünftiges Strickkleid trägt, das weibliche Trampeltier Taiga, den Papagei Jackie oder den indischen
Dschungelelefanten Targa, der am Tage einen Zentner Heu frisst und zum Nachtisch einen acht Meter langen Baum
klitzeklein macht, Fotografen müssen sich darum kümmern, dass ihnen zur Ware, die sie mit lichtbildnerischer
Kunst darzustellen haben, etwas Kontrastreiches einfällt. Und etwas Kontrastreicheres als der indische
Dschungelelefant Targa, der hemmungslos Heu verschlingt, und das zerbrechliche Mannequin Brigitte, das alle
vierundzwanzig Stunden nur ein winziges Blättchen Salat, eine schwarze Olive, einen grünen Apfel und auf gar
keinen Fall acht Meter lange Bäume zu sich nimmt, ist überhaupt nicht denkbar.
Natürlich treten Elefant und Trampeltier und der gewaltig gähnende Löwe nur im Hintergrund auf,
„verwischt", wie der Fotograf sagt. Man sieht eben nur, dass dort ein Kamel döst oder ein Kakadu im Ring
schaukelt. Selbst das Mannequin, das nur mit dem Flugzeug reist und in seiner Branche Starruhm genießt, bedeutet
für den Pullover, der gezeigt werden soll, nicht mehr als Beiwerk, als Füllsel, als Kulisse.
Das Trampeltier findet Verwendung sozusagen nur als Hintergrund eines Hintergrundes. Es kommt im
Buch der Muster weder auf das Mannequin Brigitte noch auf das Guanako Adelheid an, sondern allein auf den
modischen Einfall des Strickwarenfabrikanten.
Der Fabrikherr selbst wird nicht abgebildet. Er ist liebenswürdig und bescheiden genug, uns den
Pullover der Herstellungsgruppe 8971AIII, reine Merinowolle, lärchengrün, mit weißpaspeliertem Kragen,
abgerundeten Ecken und drei großen Knöpfen, nicht geradezu als Produkt hinzustellen, sondern als Bestandteil
einer Welt, in der wir leben.
Wir müssen es hinnehmen, dass diese Welt nicht ganz und gar von derart präraffaelitischen
Geschöpfen wie Frau Brigitte erfüllt ist, die täglich nur ein Salatblatt isst, obwohl sie doch sehr gut verdient
und sich einen Extrabissen leisten könnte. Aber das ist es eben: Wer schlank sein will, muss Eisbein und
Buttercreme verachten. Statt des Kalbsteaks mit Rahmsauce kommt ein Mohrrübchen aufs Tellerchen. Finis.
Der Erfolg ist der, dass das Mannequin zart und rank bleibt, aber es ruft „Aua!" wenn ein
Hummelchen summt oder der Kamelhengst einmal ordentlich niest oder was. Robust ist die Schöne kein bisschen Was
dieses Traumreh, dieses Auamädchen, dieses Titelblattidol verkauft, ist eine Allerweltspose, aber sie ist
entzückend.
Das Trampeltier dient nur dazu, gemeinsam mit dem Mannequin, das einen verwegenen und morbiden
Hauch von Tutti i fiori in den Zoogeruch hineinbringt, das so sorgfältig und süß Gestrickte
herauszustreichen.
Dass beim CoverGirl die normalen Maße hausbackener Weiblichkeit nicht zutreffen, erkennt der
Zuschauer an dem Umstand, dass der Rock dort, wo auch beim Mannequin „hinten" ist, mit Stecknadeln gerafft
werden muss.
10.11.68
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