Bauernwinter

Der Schnee ist nicht das Erlebnis der Städte. Er ist das Erlebnis der Äcker da draußen, über die der Ostwind stöhnt und die Krähen, diese Beherrscher der winterlichen Einöde, wie schwarzes Laub umherwirbeln. Der Schnee ist das Erlebnis der Wälder, in denen das Eichkätzchen in seinem Bau schläft. Die Holzstapel an den Wänden der Arbeiterhäuschen erleben den Schnee, die Strohwische in den Fenstern der Kuhställe und die Kartoffelmieten im Acker.

Auf dem Lande hat der Schnee ein anderes Aussehen als in der Stadt, wo er als Dekoration für das Weihnachtsgeschäft gilt und mit Brikettasche bekämpft wird. Auf dem Lande ist Schnee eine Angelegenheit wie Regen, Hagel, Sonne und Sturm. Aber welche Macht hat er, zu verzaubern! Die Bäume, sind mit den feinen Kristallen zuckrig bestaubt. Auf den alten Dächern der Scheunen und Bauernhäuser liegt der Schnee wie glitzernde Watte. Durch den treibenden Dunst der Wolken bricht Mittagssonne und vergoldet die Winterlandschaft...

Der Schnee macht Lust auf fettes und reichhaltiges Essen, Das Schwein wird geschlachtet. Das Leben der Bauern erhält plötzlich einen anderen Akzent. Es beginnt das große Hinfliehen zur Wärme, zur Geborgenheit, zur Stube. Der Mensch wird sich seiner Wintervorräte bewußt, des Reichtums an Kartoffeln, Speck, Dauerwurst, sauren Kirchen und Apfelmus. Erst der Schnee macht deutlich, daß der Winter da ist.

Mit der Arbeit hält es nicht mehr so genau. Man gönnt sich Muße. Man klaubt die Bohnen aus, die in vereisten dicken Büscheln an der Hauswand gehangen haben. Die Wintersaat schläft unter der Schneedecke. Die mächtigen Leiber der Kühe dampfen im strohverstopften Dunkel des Stalles.

Das Haus ist wohlig erfüllt von Geräuschen, die in der Schneekälte eindringlicher sind, erregender, klangvoller. Das Pferd trommelt mit den Hinterhufen gegen Stein und Holz, die Hühner plustern sich im Nest, und die Schweine fallen grunzend über den Fraß her. In Bauernhäusern tickt und wispert es immer. Solch ein Haus atmet hörbar, es streckt sich und knarrt in seinen Balken und lächelt über den Eifer der Menschen in seinenWänden...

Im Hof fällt die Axt krachend ins Holz. Blau dreht sich die Rauchsäule aus dem Kamin. Der Postbote mit Ohrenklappen und Fausthandschuhen gibt die Zeitung ab. Ein paar Worte über den Schnee werden gewechselt. Der Postbote schiebt sein Fahrrad durch den verschneiten Garten, von einem Hof zum anderen. Er ist es, der die warmen Stuben daliegen sieht, an den Hängen und zwischen den Hügeln und hinter der Niederung des Moores.

Im Acker steht noch ein Pflug. Auf der Landstraße rollen Fahrzeuge mit Milch und Kohle. Noch jemand ist unterwegs im Schnee. Der Jäger: Aus den Wäldern rollt der Donner der Jagd. Der Fuchs schnürt durch die Wälder. Elstern schreien über den Obstgärten Ein Hund bellt. Hinter den Wohnungen hängt die Wäsche brettsteif am Zaun. Dies alles ist der Winter auf dem Lande.

Der Schnee hat die Eigenschaft, die Farben, die der Landschaft allein geblieben sind, leuchtend zu machen; das Weiß des Hausanstrichs, das Resedagrün der Türen und Fensterläden, die braune Haut der Pferde, das Gelbe eines Schals, das Rostrot einer Hühnerfeder das borkige Schwarz der Baumrinde. Wie Scherenschnitte lehnen sich die Eichen an den dunklen Schneehimmel, zerbrechliches Filigran der Eibe und rhythmische Zeilen des Fichtenzweiges. Der Untergang der Sonne hat im Schnee etwas Dramatisches. Jetzt flammen in den Stuben die Lampen auf. Die Bauern kommen auf Strümpfen ins Zimmer. Die Dörfer stehen mit Strahlenkreisen in der Dämmerung. Über der fernen Stadt sammelt sich das Licht der Straßenlaternen und Scheinwerfer zu hektischer Röte.

Wind seufzt durch den Wald. Die Einsamkeit stelzt dahin. Geäst zerbröckelt unter der Last des Schnees. Ein Nachtvogel erschreckt den Wanderer.

Komm, es wird Zeit, in ein Gasthaus einzutreten.

Erschienen am 4.12.1954