Brief von Werner Lüning
Konzern für Dichtkunst & Meistergraphik, Spezialgebiete: Auflagensteigerungen &
Verlagssanierungen, Leiter der Aktionsgemeinschaft »Rettet die deutschen Verleger!« am 21. April 1992
Lieber Bernd,
eben, am späten Nachmittag des Osterdienstag, kehre ich von meinen Ländereien zurück, wo ich während der Feiertage
meinen Leibeigenen ihren langersehnten Herzenswunsch erfüllt habe: Ich habe sie wieder mal gehörig ausgepeitscht,
weil sich das Volk sonst nichts gönnt. So hatten sie doch wenigstens eine brennende Osterfreude auf ihren
rückwärtigen Wangen.
Mit meinen Segenswünschen zu Deinem morgigen Triumphtag komme ich aber jetzt etwas spät, auch wenn ich diesen
Kulturbrief nachher noch zur Bahnpost bringe. Du trittst nun in ein bedeutungsschweres Jahr ein, steht doch an
seinem Ende ein Datum, an dem Du froh ausrufen wirst:"Noch zwanzig Jahre, dann ist die Jugend endgültig vorbei und
die mittlere Lebenszeit beginnt!" Möge Dir eine unerschütterliche Gesundheit und ein quälender Durst nach
hochprozentigen Getränken auch weiterhin beschieden sein. Ich gedenke Deiner auch künftig in Dankbarkeit, Rührung,
Liebe für alles, was Du durch viele Berufsjahre für Deinen Fast-Schwiegersohn geleistet hast, für den Du, wie
bisher, einer der wenigen ganz Großen Deines Berufes bleibst. Mußte ja mal gesagt werden.
Würde Dir gerne ein besonders schönes Buch dedizieren, aber Du kennst mich und fürchtest Dich vor
meiner Senilität. Ich verschenke immer wieder das gute Dutzend jener Bücher, die mir in den letzten Jahren
besonders viel gegeben haben; aber ich mache keine Aufzeichnungen darüber, wer wann was bekommen hat. Einige habe
Ich Dir sicher schon viermal zugeschanzt. Eine der größten schriftstellerischen Offenbarungen seit seinem Tode vor
fast 15 Jahren ist für mich Nabokov. Wenn Du mir a) offen und b) ehrlich schreibst, was Du von ihm
schon kennst, kriegste eines seiner anderen Meisterwerke. Lesenswert ist alles.
Ich habe vor 3 Wochen unterm Seziermesser gelegen, mit meinem linken Auge war kein Staat mehr zu machen gewesen,
der Graue Star mußte raus. Ging auch ganz gut, nur die Woche hinterher war lästig. Zusammen mit der Operation
kostet der Scherz rund 10.000.- DM; auch wenn die Krankenkasse einen Teil übernimmt: Kostenlos war's nicht. Jetzt
hab' ich wenigstens wieder 50% Sehkraft, soll aber noch besser werden. Als ich in den OP- Raum. gekarrt wurde, trug
ich bereits ein Totenhemd, das war Vorschrift. Es ist ziemlich kurz, reicht vorne eben und eben über die
Kronjuwelen. Damit die Lernschwestern nicht ohnmächtig werden, darf man einen Slip anbehalten. Beim Totenhemd sitzt
der einzige Knopp im Nacken, sonst ist das Hemd total offen. Ich sagte deshalb zu der rüstigen Schwester (Jahrgang
1972), die mir beim Anlegen behilflich war: "Solche Hemden bekommen Sie gewiß aus dem beliebten Mosel-Weinort
Cröwe!" Das Mädchen schüttelte den Kopf: "Nein, die Hemden kriegen wir von der Verwaltung!"
Dazu muß man Leichenstrümpfe anziehen, schneeweiß und sehr ang, die im Norden bis ans
Familienglück heranreichen, im Süden aber ein Loch haben, sodaß die Zehen hervorkieken. "Habense keine heilen
Strümpfe?" fragte ich vorwurfsvoll. "Nein, die müssen so sein!" sagte die Schwester trotzig. Auf weitere
Nachfragen gab sie dann zu, daß man am Zustand der Zehen erkennen könne, ob eine Tombola eintrete, denn dann
verfärben sich die Bürgersteigbeleidiger, und die Operation muß unterbrochen werden. Als es bei mir mitti
Operation losgehen sollte, rief der Professor die OP-Schwester:"Lene!" rief er. "Lene, ich möchte jetzt
anfangen!" Keine Lene kam, und wieder erhob der Chefsanitäter seine Stimme, bis schließlich aus einem
Nebenraum ein Mädchen rief:"Geben Sie sich keine Mühe, Herr Professor! Lene kommt nur, wenn Sie sie
'Lenchen!' rufen.
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