Udo und Panja Jürgens Halle Gartlage OS
Man kann verstehen, daß junge Leute ihn mögen
Um ein Haar wäre ich am Montag gar nicht hingegangen zur One-Man-Show. In einem Interview der
Aktuellen Schaubude am vergangenen Sonnabend erklärte Westdeutschlands erfolgreichster Schlagersänger, er trete am
Montag in Oldenburg auf.
Udo Jürgens ist Österreicher, und er lebt in München. Mag sein, daß es von unten so aussieht, als seien Osnabrück
und Oldenburg ein und dasselbe. Stadt in Norddeutschland mit sieben Buchstaben, fängt mit O an. Nun, den Schaden
trägt er selbst; denn dicht geschlossen waren die Reihen keineswegs.
Und jene, die gekommen waren, ließ er eine Viertelstunde hoffen und harren. Bis Unruhe entstand. Dann holte ihn der
Scheinwerfer an die Rampe: Ihn, Udo Jürgens, der den Grand Prix des europäischen Chansonwettbewerbs und den
Goldenen Löwen von Radio Luxemburg gewann. Ihn, den Helden zahlreicher Titelgeschichten in Illustrierten und
Musikzeitschriften.
Udo Jürgens trat in 60 Fernsehsendungen in vielen Ländern auf und gilt heute neben Hildegard Knef als
unbestrittener Star im deutschsprachigen Bereich des Chansons. Er komponiert. Er dichtet. Er singt.
Ein sympathischer junger Mann und ein begabter Sänger. Man kann verstehen, daß die Jugend ihn mag. Aber wie lange
wird sie ihn mögen? Schlagersänger sind Eintagsfliegen. Seit dem Frühjahr ist Udo Jürgens im Geschäft. Er singt und
singt und singt. An diesem Abend in der Halle Gartlage ist er erkältet. Trinkt Kamillentee, um den Reiz zu
mildern. Bringt das Mikrophon zu nahe an den Mund.
Ich sitze in der ersten Reihe. Rasierplatz. Preis: 16 DM. Ich notiere: Glaszersägendes, mauerbrechendes,
balkenverbiegendes Gekreisch. Mache einen Strich durch die Notiz. Aber zu verstehen ist weder Stimme noch
Instrument. Muß das so laut sein? Ich glaube ja. Je lauter der Gesang, desto gewaltiger der Beifall. Das ist
Seelenbräu für 17jährige. Labsal für Unglückliche. Ansporn für Erfolglose. Warum nur, warum?
Drahtige Figur, dieser Jürgens. 1,86 in groß. Farbe der Augen: braun. Trägt einen Smoking, der mit roter Seide
gefüttert ist. Zitronenfarbenes Hemd mit dunklem Querbinder. Langes, braunes, gewelltes Haar. Keine Spur von
Dialekt. Keine Eitelkeit. Kein Pathos. Keine Allüren. Gibt sich so, wie er ist. Setzt sich auf einen Stuhl. Setzt
sich an den Flügel. Klimpert ein paar Noten. Trinkt ein Schlückchen. Es macht ihn so einfach.
Das Programm ist eine Mischung aus Chanson, Folklore, Jazz und Beat. Viel Eigenes an Text und Musik. Es gefällt
sehr. Aber auch Becaud, Bernstein, Rodgers, Hammerstein, Lennon, McCartney, Cash. Da, wo es amerikanisch wird,
Western-Song, Pferdegetrappel, Lagerfeuer, Pistolenschuß, tobt Beifall.
Seine Masche: er stellt Fragen, singt Fragen ohne Antwort. Warum nur, warum? Wo ist der Sommer geblieben?
Warum blühen die Blumen so schön? Wo sind die strahlenden Augen, an denen ich hing? So klein fängst du dein Leben
an, und was kommt dann?
„Herr Jürges", sage ich, „darf ich auch `mal 'ne Frage stellen?"
Ich sitze ihm in der Garderobe gegenüber. Nackter Oberkörper. Frotteetücher. Kamillentee. An der Türe wehren
Gefolgsmänner miniberockte Teenager ab.
„Ihre Frau soll eine Osnabrückerin sein. Einmal hörten wir, sie sei Französin, dann Österreicherin. Was
stimmt?"
„Weder Französin, noch Österreicherin", lacht Jürgens, „Meine Frau ist Osnabrückerin. Sie stammt von einem
Bauernhof in Venne. Ich selbst stamme ja auch von einem Bauernhof. Meine Frau hat in Osnabrück die Schule besucht.
Damals hieß sie Meier, Erika Meier. Ich nenne sie ,Panja`. Sie ist 26 Jahre alt. Wir haben zwei Kinder und bewohnen
am Stadtrand von München eine kleine Villa. Sonst noch was?"
„Ja. Ich möchte ein Foto Ihrer Frau."
„Können Sie haben!" Er läßt sich eine Hose reichen und fingert aus der Gesäßtasche einen Umschlag hervor. „Das hat
Panja mir mitgegeben. In ewiger Treue, Erika. Und Gruß an alle Osnabrückerinnen, die sich an Erika Meier aus Venne
erinnern."
NACH DEM KONZERT EINE ERFRISCHUNG. Udo Jürgens trank in der „Drehorgel" aus dem Pokal der
VfL-Basketballer. Das Gefäß schien für seinen Durst gerade groß genug zu sein.
Erschienen in 1967
(für das Original hier klicken:
PDF)
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