Novembertag
Der November ist die Zeit der kahlen Bäume. Der
Wind zerrt die letzten roten Blätter von den Buchen und wirbelt sie über das Scheunendach empor, treibt sie über
den Acker. Da leuchten sie nun aus den erdnassen Furchen, kaum noch als Gruß zu deuten, welkes Buchehlaub, ein
Nichts . . .
Von dieser Seite betrachtet, lieben wir den
November ganz und gar nicht. Wir frösteln zu sehr. Das unbewegte Grau seiner Morgenfrühen trübt unsere
Heiterkeit. Wir sitzen am liebsten daheim. Wir treuen uns auf die Ofenwärme nach der Rückkehr am Abend. Im Wald
ist es jetzt schon dunkel. Wer weiß, was dort vor sich geht. Glücklich, wer hier ausruhen und die rostklammen
Hände aneinander reiben darf. Die Frau hat das Licht angezündet. Du siehst plötzlich, wie dunkel es draußen
geworden ist. Das Licht ist gut und' warm und zuverlässig. Aus dem Topf steigt der Duft von Essen. Das Wasser
singt im Kessel. Es singt diese eintönig süße Melodie, die du liebst in dieser Stunde der Einsamkeit. Die Frau
stellt einen Teller auf den Tisch und legt einen Löffel dazu. Still geht sie hinaus und läßt die Türe leise ins
Schloß gleiten, wiemanein Boot abstößt. Darin sitzt du nun, ohne dich;. zu rühren, und denkst
vor dich hin, und das Boot treibt geruhsam mit dir durch den Strom winterlicher Dunkelheiten. Denkst du
zuviel daran, wie es damals war im Kriege?
Der Postbote hat unter Mittag einen Brief
gebracht. Es geht ihnen nicht gut, den Kindern in der Stadt, sie haben Angst vor dem Hunger. Jaja, auch dies
dräut in der Dunkelheit des Novembers: Hunger.
Früher machten sie um diese Zeit das Schlachten
ab. Es roch nach dem fetten Brodem der Wurstküchen, und aus den Räucherkammern quoll brandig speckiger Geruch
über das Dorf hin. Der November war die Zeit der Vorbereitung auf Weihnachten. Geheimnisse verhielten sich
mühsam genug hinter den Lippen lächelnd seliger Mütter. Wenn die Kleinsten zu Bett gebracht waren, leuchteten
bunte Wollknäuel unter der Lampe. Ob wir das je noch erleben, fragest die Jungen. Die Alten nicken. Sie wissen
um das Auf und Ab des Lebens und daß nach jeder Dunkelheit das Licht kommt. Auch nach dieser Dunkelheit, sagen
sie. J.V
Nordwestdeutsche Rundschau
Osnabrück
6. November 1947
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