Was ist ein Bulletin
7. April
1959
Von Zeit zu Zeit bekomme ich von einer Reederei Drucksachen zugeschickt. Die Reederei will, daß
ich eines ihrer schönen Schiffe besteige und mir die Welt ansehe. Amerika zum Beispiel. Oder Nordafrika. Oder
Griechenland. Die Preise sind in Dollars ausgerechnet, und auf jedem Schiff kann man auf dem Deck Golf spielen.
Man stelle sich das vor: Golf, mitten auf dem großen, blauen Ozean. Natürlich ist ein Schiff, an dessen Deck Golf
gespielt wird, unbeschreiblich vornehm. Ich wage gar nicht, mir die Kavaliere vorzustellen, die dort den feinen
Damen den Schläger aufheben. Die Vornehmheit geht auch schon aus dem Umstand hervor, daß i die Reederei ihre
Drucksache nicht einfach als Drucksache herausgibt, son- 1 dem als „Bulletin". Zwischen „Drucksache" und
„Bulletin" bestehen Unterschiede, das wird jeder zugeben müssen. Mit Bulletins hat man nicht alle Tage zu tun. ich
habe deshalb im Lexikon nachgeschlagen, um herauszukriegen, was ein Bulletin ist. „Bulletin (lat. bulla)", sagt
das Lexikon, „ist ein französisches Wort und heißt Tagesbericht. Napoleon nannte die von ihm verfaßten
Heeresberichte, zu deren Abdruck er die Presse zwang, Bulletin. B. heißen auch ärztliche Berichte über die
Krankheit bedeutender Persönlichkeiten."
Da haben wir's. Napoleon ist wieder mal an allem schuld. Ich entsinne mich aus dem Geschichtsunterricht an
Bulletins über diverse Feldzüge. Ich weiß, dass Bulletins veröffentlicht wurden, als der letzte Papst im Sterben
lag und als Präsident Eisenhower erkrankt war. Das Volk sollte über den Zustand dieser hohen Persönlichkeiten
unterrichtet werden.
In solchen Fällen gibt es also ein Bulletin. Wenn der Flurhüter Heinrich Piepenbrink darnieder liegt, gibt es kein
Bulletin. Wozu auch? Niemand, außer den engsten Angehörigen des Flurhüters Heinrich Piepenbrink, würde ein
Bulletin über das Ableben desselben zur Kenntnis nehmen. So bemerkenswert ist ein Flurhüter nicht.
Aber ein Ozeandampfer, an dessen Deck Golf gespielt wird, ist in der Tat fast so wichtig wie ein gekröntes
Haupt.
Nun habe ich mir die Mühe gemacht zu lesen, was in dem Ozeandampferbulletin dem Volke mitgeteilt wird. Dem Volke
wird mitgeteilt, daß auf zehn Fahrten des T. S. „Nautica" fünfhunderttausend Eier verspeist wurden und der
Oberkoch Josef Steppke das fünfhunderttausendste Ei selbst gegessen hat.
Ferner, daß Deutschlands schönste Frau, Miss Germany 1959, zu den Wahlen der Miss Universum in Long Beach mit T.
S. „Nautica" nach New York reisen wird.
Wie bitte? War' doch ein Jammer, wenn wir das nicht erfahren hätten.
Bernhard Schulz
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