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Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit
Rezensionen
Ein Dreizehnjähriger liest Ende der 20er Jahre im Mai Tolstois "Anna Karenina" in der Krone eines
Birnbaums. Der Sohn des Sparkassenrendanten wächst behütet auf dem Land heran. In epischer Breite erzählt
Schulz von seiner ersten Liebe zu dem Mädchen Priska und den Tragödien im Dorfidyll: sein Kinderfreund wird
entführt und keine Ordnungsmacht kann eingreifen. Eine reiche Erbin wird um alles betrogen, es ist nicht zu
ändern. Das alles in dichter, sinnlicher Sprache, die Details einer gar nicht so vergangenen Vergangenheit
zum Leben erweckt. Der Historiker Braudel sagte in einem Interview: "Aufgabe des Historikers ist es, die
Toten lebendig zu machen." Genau dies gelingt dem Autor Bernhard Schulz in diesem kleinen, großen Werk: die
Toten lebendig zu machen.
Von:
Dr. Maria-Regina Kaiser-Gneiting, Wissenschaftlerin und
Schriftstellerin, Frankfurt, 13.10.2016
Vergangene Idylle
Zum neuen Buch von Bernhard Schulz
Eine hauchfeine Liebesgeschichte, die mitsamt ihrer Szenerie die rosaroten Zeiten eines
Gewesenen heraufbeschwört — das ist die Erzählung „Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit" des
niedersächsischen Journalisten Bernhard Schulz. Mitunter, wenn man einige der kindlichen Erzählpassagen liest,
fühlt man sich mit seiner Kritik an einem „Erwachsenenbuch" fehl am Platz. Sollte es doch hauptsächlich auf
das Innenleben eines 14jährigen abgestimmt sein, der in einer Zeit lebte, wo es noch kein Telefon gab, und
sollte es heute den Anspruch erheben, einen Gleichaltrigen im Jahre 1976 ansprechen zu können? Oder soll es die
teilweise verlorenen Träume der älteren Leser wieder auf leben lassen?
Die Erzählung ist unkompliziert und hat ein Zentralthema, zu dem sich der Autor langsam
vorarbeitet. In der schematischen Darstellung gleicht diese Arbeitsweise den konzentrischen Kreisen Faulkners.
Ein Haus mit Vorgeschichte in einem kleinen niedersächsischen Dorf in einer stillen Landschaft Hier wohnen
die
Eltern des 14jährigen Jungen, dem IchErzähler der Geschichte, der sich in oft sehr schön zu
lesenden, kindlichexakten Darstellungen verliert. In diesem Zusammenhang sollten auch die grafischen
Illustrationen von Gertraud BrylkaThieme erwähnt werden, die die Beschreibung des Jungen und die ländliche
Idylle im Stil adäquat wiedergeben.
Bald erfährt man, dass die Tauben, von den Dorfbewohnern bei Flugwettbewerben eingesetzt, eine
sehr wichtige Rolle spielen. Der Junge bekommt ein Taubenpärchen geschenkt und verliebt sich in ein
gleichaltriges Mädchen aus der Stadt. Eine Liebesgeschichte bahnt sich an, die ihn sogar den Fußball vergessen
lässt, und in der die Tauben in ihrem Verhalten die Situation der beiden Menschen widerspiegeln. Wahrscheinlich
als reines Ergötzen des Lesers an kindlichjugendlicher Phantasie und Gefühlswelt gedacht, wird nichts an diesem
früh angelegten MannFrauverhalten hinterfragt, sondern als anziehende Eigenschaft des Partners dargestellt. Sie
möchte einen Mann zum Liebhaben, er zur See, Unwissende Kinder oder kleine Erwachsene?
Bleibt für Leser, die sich vom Schwelgen in schon fast irreal unkomplizierten Geschichten nicht
allzuviel erhoffen oder unter Umständen sogar Gefährliches darin sehen nur die Freude an Erzählstil und
Lebendigkeit, die das Buch auf jeden Fall lesenswert machen würden. Doch die Geschichte geht noch weiter: Der
Sommer ist vorüber, das Mädchen muss wieder in die Stadt. Die jungen Menschen müssen sich in den Schmerz fügen
und sich am Leben orientieren, doch das Gurren der entflogenen und zurückgekehrten Tauben bleibt ihnen als
Erinnerung; Für alle, die glauben, sich und jungen Menschen mit diesen Träumereien nur Schönes und nicht
Verschleierndes anzutun sicher ein schönes Leseerlebnis. Petra Stübler
Aus: Badische Neue Nachr., Karlsruhe 19.7.76
„Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit", Eine Erzählung
Ein kleines Buch, das man vielleicht nicht rezensieren, nur auszugsweise wörtlich zitieren
sollte, um die Freude zu wecken, es selbst zu lesen in seiner lebendigen, taufrischen Sprache, dem heute so
seltenen Reichtum eines unabgenutzten Wortschatzes, der sach und erlebnisbezogen perlenden
Selbstverständlichkeit des deutschen Volksliedes, von Erzählungskunst der Romantik oder der eines Theodor
Storm. Es schildert vor klar abgegrenztem, mit Kenntnis, Liebe und Humor gezeichnetem Hintergrund eine Episode
ohne jegliche Sensationen und ist ein Entwicklungsroman im Kleinen, ein reifes Kunstwerk, in welchem sogar die
drei Einheiten des antiken Dramas, die des Ortes, der Zeit und der Handlung, vielleicht schon durch den Stoff
gegeben, als künstlerischer Unterbau so durchfühlbar sind, dass man in dem Vergleich noch weitergehen könnte und
etwa die Sauberkeit der einzelnen klassischen Stilmittel, von der Exposition über den Höhepunkt bis zur
Katharsis, verfolgen. Denn der Erzähler ist am Schluss ein anderer, als er zu Anfang war! Es wird geruhsam in
der Ich-Form berichtet, aber Kapitel für Kapitel erscheint sorgfältig ausgefeilt, abgerundet, wie in einem
wirkungsvollen Bühnenstück die Vorbereitung gut sitzender Aktschlüsse, welche die Spannung nur immer weiter
vorwärtstreiben.
Es ist der Sommer in einem niederdeutschen Dorf, der sich hier mit Glanz und Seligkeit, mit Sehnsüchten, Wünschen,
Erfüllung und Enttäuschung in dem geheimnisvollen Reifen einer Kindheit spiegelt. Er ist gespürt mit allen
Sinnen, in einer Fülle von Einzelerlebnissen, Beobachtungen, Bildern, Klängen, Gerüchen, mit unaufdringlicher,
aber fesselnder Einbeziehung von epischem Geschehen.
Eine bezaubernd zarte, poetische und lebenswahre Jugendgeschichte, ein Buch zum Verschenken an jung und
alt. - Dr. E. Charlotte Heidrich
Aus: Schleswig Holstein 10/76 (Landschaftsbezogenes Bauen heute Schleswig Holstein und
Europa)
„Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit"
Eine Erzählung, Von Bernhard Schulz
Tauben, Brieftauben zumal, gehören zu den großen Hobbys und welcher Bub wäre nicht stolz, selbst
daran teilhaben zu können. Der Bub, der hier diese reizvolle Geschichte erzählt, gehört zu den Glücklichen
dieser Erde, die Brieftauben züchten und bei den großen Reiseflügen Erfolg haben. Er berichtet auf eine
köstlichnaive reizvolle Weise von dem niedersächsischen Dorf, in dem er lebt, von den Menschen, mit denen er
täglich umgeht, und von den Tauben, und schließlich von Priska, dem Mädchen aus der Stadt, das zu Besuch kommt,
und der eigenartigen Verbindung zwischen ihm und ihr, die er gar nicht versteht und nicht deuten kann, bis er
von den Tauben erfährt, was das ist, erste, scheue, zarte Liebe, die mit dem Sommer endet, wenn Priska
zurückreist in ihre Welt und ihn zurücklässt in seiner Welt, der der Tauben, des Dorfs und der Träume.
Bezaubernd, wie Schulz das erzählt und wie feinfühlig Gertraud BrylkaThieme es illustriert.
Aus: Schwarzwälder Bote, 10. November 1976
Literarisches Spielzeugdorf im niedersächsischen Stil
„Es war die Welt der Dörfler und Bauern, die im wesentlichen seit Jahrhunderten unverändert
geblieben war. Die Sonne ging abends unter, darauf konnte man sich verlassen, und wichtig war daran nur, dass
sie frühmorgens auch wieder aufging, und das tat sie, Gott sei Dank. Und manchmal regnete es." Davon erzählt
dieser ausgezeichnete Feuilletonist. Seine Welt lag in Niedersachsen, aber wenn man von der Autobahn ins Grüne
herunterfährt, dann kann es passieren, dass einem die Kindheitsgeschichte, die Schulz schrieb, auch heute
entgegenkommt.
Der Junge, der auf dem Dorf aufwächst, hält sich an die Tauben, die er aufzieht und fliegen lässt, als es soweit
ist. Soweit heißt für ihn auch: Als er sich verliebt. Priska kommt aus der Stadt, sie spielen zusammen während der
Sommerferien, sie verlieben sich ineinander, und so geraten sie, der Junge und das Mädchen, in die schöne
Verwirrung der Gefühle,
Schulz baut vor dem Leser die niedersächsische Dorfwelt behutsam und überzeugend auf — wie ein Spielzeugdorf, das
er mit lebhaften Charakteren und düsteren Schicksalen anfüllt. Erinnerungen an 70/71, an den Ersten Weltkrieg,
sogar an den Dreißigjährigen Krieg wachsen in diesem Dorf, das weder Radio noch Fernsehen kannte. Man erzählt sich
noch viel, man klatscht noch mehr.
Liest man dies heute, so hält man dies doch für eine versunkene Welt, in der es noch Gewitter gab mit weichem
Wasser, Regen ...
Einmal übernachtet der Junge allein in der Scheune, als Mutprobe. Später zieht es ihn in ein Versteck, in das ihm
bald Priska folgt. Dort küssen sie sich. Die Zartheit, mit der Schulz erzählt, macht die Erzählung nicht nur
glaubhaft. Sie ist eine amüsante und doch auch in sich versponnene, sehr gut geschriebene Geschichte, die man
auch laut vorlesen könnte. Kein Märchen aus alten Zeiten, sondern pralles Leben zur Sommerszeit auf dem Lande —
in unserem Lande. - Wolfgang Paul
Aus: Berliner Morgenpost 26.1.77
Ein glänzender Erzähler
Als ein Novellist von hohen Graden erweist sich Bernhard Schulz mit seiner Erzählung „Das Gurren
der Tauben in der Sommerzeit" (135 S., mit 12 Zeichnungen von Gertraud BryklaThieme). Bernhard Schulz erzählt
die Geschichte einer Jugend auf dem Dorf aus eine Zeit, die noch keine Hektik kannte. Man ist verwurzelt mit
der Natur und dem Getier. Das Leben geht noch einen gemächlichen Gang und hat etwas Idyllenhaftes, obwohl es
daneben auch seine abseitigen Schicksale kennt, die im Gewisper des Gerüchts getuschelt werden. Eine zarte
Jugendliebe spielt mit hinein in dieses Zeitgeschehen. Alles das ist bis ins Einzelne mit könnerischer
Koloristik geschildert und dabei zugleich von einer heimlichen Spannung getragen, die den Leser begierig macht,
zu erfahren, wie das nun zu Ende geht.
Aus: Offenburger Tageblatt 30.11.76
Geschichte einer ersten Liebe
Die Geschichte eines Sommers, in dem der 14jährige „Taubenkönig"
und das Mädchen Priska ihre erste Liebe erleben. Der Knabe erzählt von seinem Leben auf dem Dorf, von der
Familie und dem ungewöhnlichen Großvater, von seinen Freunden und — was ihm das wichtigste ist — von seinen
Brieftauben. Das ist seine kleine Welt, bis Priska kommt. Die zwei jungen Menschen bekennen einander ihre
Zuneigung, doch sie wissen noch nicht, wie es in der Liebe zugeht, von der die Erwachsenen reden. Eines Tages
kommen die Tauben nicht mehr in ihren Schlag zurück: der Sommer geht vorbei. Das Mädchen Priska geht wieder
zurück in die Stadt. „Das Gurren der Tauben und das Geplauder der beiden Menschen haben einen gemeinsamen
Grundton: Verliebtheit." Eine bezaubernde Erzählung voller Natürlichkeit, die einen großen Leserkreis ansprechen
wird.
Aus: Ostfriesen ZTG. 13.8.76
Ein Meister der Erzählkunst
Der Autor und Journalist Bernhard Schulz entpuppt sich als ein
Meister der Erzählkunst und Freund des Details. In lebendiger Sprachschilderung verharrt er an den Stätten
seiner Kindheit und Jugend: auf dem Dorf. Einen ganz bestimmten Sommer hat sich der Autor herausgepickt, den
Sommer, in dem er als 14jähriger seine erste Liebe erlebte mit Priska, dem Mädchen aus der Stadt. Die anmutige
Erzählung verleitet zum Träumen vom einstmals heilen dörflichen Leben, in dem das Gurren der Tauben in der
Sommerzeit einen ebenso wichtigen Rang einnimmt wie das Gefiep der Schwalbenbrut oder der Pfiff der
Kleinbahnlokomotive. Schulz ist eine Liebesgeschichte gelungen, die den Leser besticht durch ihre
Natürlichkeit und die zahllosen minutiösen Schilderungen dörflicher Begebenheiten und Charaktere. -
wgk/
Aus: Stader Tageblatt 16.9.76
Neues Buch von Bernhard Schulz
„Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit"
Ein neues Buch von Bernhard Schulz ist immer eine Freude für
Leser, die hinter seiner leise ironischen, oft selbstironischen Art des Schreibens, hinter dem unbetonten Hang
zum Skurrilen und der bewundernswerten Flüssigkeit und Klarheit seiner Darstellung den lebenden und liebenden
Menschen suchen. Sein Themenkreis ist weit, und sein Stil von höchster Anpassungsfähigkeit an den jeweiligen
Stoff. Um es genauer zu sagen: Es ist ein immer anderer und neuer Bernhard Schulz, dem wir begegnen, aber es
ist immer eine erfreuende Begegnung. Er verliert sich nie aus der Welt realen Erlebens, aber er sieht sie aus
stets neuen Blickpunkten, gibt liebevolle Details und mischt in das augenzwinkernde Lächeln die ganz zart
anklingende Wehmut mit dem Nachhall „es war einmal". Wenn Dichten Verdichten ist, ist er ein Dichter.
Das neue Buch ist eine Erzählung, die auf mannigfachen Umwegen,
mit bunten und stillen Bildern gefüllt, in klarer Linie auf eine blumenhafte Liebesgeschichte zuläuft, das
Erlebnis zweier junger
Menschen, die ohne dramatischen Effekt erkennen lernen, dass es
täglich mit irgendeiner Sache zu Ende sein kann. Wenn man den immer neue Themen und Töne findenden Erzähler
Bernhard Schulz aus seinen früheren Büchern — wir nennen „Picknick am Mittelmeer", „Die Krähen von Maklaki",
„Blaue Stunde", „Bei Kerzenlicht erzählt" — bereits kennt, wird man auch dieses Buch mit aufrichtiger Freude
entgegennehmen und lesen. Und es mehr als einmal lesen.
Das Buch ist in guter Aufmachung im Verlag Hans Christians,
Hamburg, erschienen. Erwähnenswert der Zusammenklang des Bildschmucks (Umschlagsentwurf und
Textillustrationen) von Gertraud Brylka Thieme mit Thema und Stil der Erzählung. Preis im Buchhandel 16 DM.
K.K.
Osnabrück Stadt und Land, 1.15. Juni 1976 Jahrgang 24 Nummer 11
Liebe mit 14
Bernhard Schulz, Journalist in Niedersachsen, legt nach
verschiedenen Romanen und Erzählungen hier seine sicher reizvollste Erzählung vor. Eine Beschreibung der
stillen Landschaft seiner Heimat und darin die — ein Taubenpärchen einbeziehende — zarte Liebesgeschichte. Die
Tauben spielen eine große Rolle, denn die Aufzucht von Brieftauben und deren aufregender Einsatz bei
Flugwettbewerben sind das Hobby der Dorfbewohner, unter denen der 14jährige Knabe lebt. Er träumt davon,
„Taubenkönig" zu werden. Als dann aber das Mädchen Priska aus der Stadt zu Besuch kommt, geschieht mit den
beiden etwas, wovon sie, noch kindlich, wie sie beide sind, nicht wissen, was es ist. Geht auch der Sommer und
damit der Besuch Priskas eines Tages zu Ende, so bleibt den beiden doch bei aller Wehmut das Gurren der Tauben
als Erinnerung. - Aus: Bergerdorfer Ztg. 19/20.6.76
Liebesgeschichte aus Norddeutschland
Der Titel dieser Erzählung des norddeutschen Journalisten und
Schriftstellers Bernhard Schulz passt so richtig in die Jahreszeit: „Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit",
erschienen im Verlag Hans Christians, Hamburg (135 S., zwölf j Zeichnungen von Gertraud Brylka Thieme). Es ist
die Geschichte eines Sommers, in dem der vierzehnjährige ; „Taubenkönig" und das Mädchen Priska ihre erste
Liebe erleben.
Also eine richtige, „altmodische" Liebesgeschichte, in der
Tauben als „Dolmetscher" der ersten Neigung zwischen den beiden jungen Menschen, die stille niederdeutsche
Landschaft und die Wehmut des Abschieds eine entscheidende Rolle spielen. web
Aus: Kölnische Rundschau, Feuilleton-Redaktion, 12.8.76
Abschied von der Idylle
Zu einer neuen Erzählung von Berhard Schulz
„Einer, der täglich erlebt, daß es mit irgendeiner Sache zu Ende
geht", hat nach 135 vor Fabulierfreude vibrierenden Seiten des Osnabrücker Autors Bernhard Schulz in der
Erzählung „vom Gurren der Tauben in der Sommerzeit" das letzte Wort. Zu Ende geht es da mit einer Kindheit, mit
einer Jugendliebe, mit einem dörflichen Idyll, das einem Heranwachsenden Heimat war. Der Blick zurück in eine
zwar nicht unversehrte, aber lebensfreundliche, ländlichsittliche, ländlichdrastische, ländlichnaturbestimmte
Vergangenheit faszniert und provoziert den Schreiber, der sich als ein seine Fäden bedachtsam, konsequent und
spannungsreich spinnender Erzähler erweist. Das Licht der Erinnerung, das diese Jugendzeit milde beglänzt, ist
immerhin hell genug, die Realitäten zu erfassen. Es bewahrt den Erzähler vor Schönfärberei.
Ist Bernhard Schulz unter die Heimatdichter gegangen? Mitnichten;
das Buch hat seinen spezifisch feuilletonistischen Charme. Der Tonfall ist behäbigschnurrig,
humorigmelancholisch, witzig und gefaßtnostalgisch, was eine der bekömmlichgewinnreichen ' Lektüre zuträgliche
Mixtur ergibt. Zum Personal der Fabel gehören, neben dem zaubrisch sensibel gezeichneten jungen Paar, dessen
kurzes Ferienglück ein Taubenpaar umgurrt: Schrullige Krämer, gestandene
Dorfärzte, spreizfüßig schwergewichtige Damen, Männer, die von Batavia nicht nur träumen, sondern auch dahin
Reißaus nehmen aus der Enge, ein armes Weib, das einsam stirbt, ein bäuerlicher Opa, der als Muster der Gattung
gelten darf, ein Junge, träumend und lesend in der Krone des Geißhirtlbirnbaums. Im Inventar der Szenerie,
auf der Schulz eine dörfliche Gemeinschaft in Harmonie und Häme spielen läßt, gewahrt man Meerschaumpfeifen.
Spieldosen, Kramläden, Fachwerkhäuser (nebst Schieferdach und vier Linden vor der Einfahrt), ein frühes Auto und
ein dito Telefon, Blumen, Felder, Bäume, Tiere, Taubenschwärme am blauen Himmel und ein Hohlraumgelaß in einem
alten Bauernhof, das voller Erinnerung und Geheimnis ist.
„Angerührt vom Atem der Vergangenheit", skeptisch gestimmt gegen
zweifelhafte Segnungen der Technik, intoniert der Autor vor solcher Kulisse ein keineswegs weinerliches Lied
vom einfachen Leben. Er gibt seiner Idiosynkrasie gegen Militärisches, gegen große Worte und abgenutzte Ideale
Raum und skizziert Gestalten, die das Zutrauen ins Leben nicht verlieren, obwohl sie früh gelernt haben, daß
der Wurm in allem steckt. Der Leser, bis zum Schluß gefesselt, findet immer wieder Gelegenheit, sich an
brillant zugeschliffenen Pointen und Wortbildern zu delektieren. Gertraud BrylkaThieme schmückte den unter die
„schönen Bücher" zu rechnenden Band mit zehn ganzseitigen Illustrationen, die dem poetischrealistischen Stil
des Ganzen entsprechen.
Von: Manfred Böhmer
Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit
Bernhard Schulz legt nach verschiedenen Romanen und Erzählungen hier seine wohl reizvollste
Erzählung vor. Es ist die Geschichte eines Sommers, in dem der 14jährige „Taubenkönig" und das Mädchen Priska
ihre erste Liebe erleben. Der Knabe erzählt von seinem Leben auf dem Dorf, von der Familie und dem
ungewöhnlichen Großvater, von seinen Freunden und — was ihm das wichtigste ist — von seinen Brieftauben. Das ist
seine kleine Welt, bis Priska kommt. Die zwei jungen Menschen bekennen einander ihre Zuneigung, doch sie wissen
noch nicht, wie es in der Liebe zugeht, von der die Erwachsenen reden Eines Tages kommen die Tauben nicht mehr
in ihren Schlag zurück: der Sommer gehl vorbei. Das Mädchen Priska geht wieder in die Stadt.
Eine ungewöhnliche, bezaubernd originelle Geschichte zum Träumen und zum Verlieben in junge
Leute und ihrer beider Dolmetscher, die gurrenden Tauben.
Aus: Passauer Neue Presse 30.6.76
Rezension von Georg Leiber
Ein Sprichwort heißt "Bücher sind zum Lesen da". Aber nicht jedes Buch lässt sich lesen, auch
wenn man einmal von Fachbüchern absieht. Die moderne Literatur bringt selbst Lektoren, Buchhändler und den an
der Literatur interessierten Leser manchmal zur Verzweiflung. Wie wohltuend dagegen ist das neue Buch des
Osnabrücker Autors Bernhard Schulz „Das Gurren der Tauben in der Sommerzeit", einer nicht nur im Text
bezaubernden Erzählung, sondern auch in der Aufmachung eine wohltuende Neuerscheinung auf dem Buchmarkt.
Schon wenn man das Buch in die Hand nimmt, verspürt man das Gefühl von etwas Wertvollem. Das
holzfreie, geleimte Papier und der ansprechende Satz lassen deutlich werden, dass dieses Buch vom Hersteller
mit viel Liebe behandelt wurde. Das Ganze wird abgerundet durch die realistischen Illustrationen von Gertraud
Brylka-Thieme, die es verstand, den Gehalt des Textes ins rechte Bild zu rücken. Den Verleger kann man zu
dieser wohlfeilen Buchtechnik beglückwünschen, und mit Recht mag er dieses Buch um den Titel „Die 50 schönsten
Bücher des Jahres 1976" ins Rennen schicken.
Die Erzählung spiegelt, mit gekonnter schriftstellerischer Hand geführt, das Leben eines 14j
ährigen Jungen mit all seinen schönen aber auch bitteren Seiten wieder. In seine Erinnerungen verstrickt,
lässt der Autor den Leser teilhaftig werden an kleinen Sorgen und Nöten. Mit feinfühliger Feder lässtt er das
Leben eines Dorfes im Bergischen entstehen, in dem jede Figur ihre eigene Aussagekraft besitzt: der alte
Sanitätsrat Alle-velt, sein berechnender Sohn Richard, dessen skurrile Frau Helene, der Kuhhalter, Bäcker und
Nachtwächter Bachem oder jener liebenswürdige alte Bauer „Opa Keppel". Er war es auch mit seiner Taubenzucht auf
dem Bauernhof, der in dem Knaben den Wunsch aufkommen ließ, eine eigene Zucht anzufangen. Und just in diesem
Augenblick tritt Priska, die 13jährige Enkelin von Opa Keppel aus der Stadt in das Leben des Dorf jungen, und
er darf nun zum ersten Mal die Kraft der jungen Liebe mit all seinen Höhen und Tiefen erleben.
Im Thema nostalgisch, in der Sprache erfrischend versteht es Bernhard Schulz, den Leser über 135
Seiten in seinem Bann zu halten. Er versäumt auch nicht, hier und dort versteckte Seitenhiebe gegen Staat und
Gesellschaft, Kirche und Obrigkeit zu verteilen. Ein Buch, das zu unterhalten versteht, und als Geschenk
willkommen sein dürfte. - Georg Leiber
Aus: ON Nr. 23 — 11. Juni 1976
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