Mein Wunsch: ein Signalhorn
In unserer Stadt leben wir mit einem jungen Mann zusammen, der von seinem reichen Vater ein Auto
geschenkt bekommen hat. Ich habe nichts gegen einen Vater, der seinem Sohn ein Auto schenkt. Aber ich habe etwas
dagegen, dass dieser Sohn mit seinem Auto Lärm macht, und zwar nachts, wenn wir gesitteten Bürger schlafen.
Selbstverständlich ist es kein gewöhnliches Auto, sondern eins von der teuersten Sorte, ein Sportmodell ganz in
Weiß, und die Sitze sind mit himbeerrotem Wildleder bezogen. Das Besondere an diesem Fahrzeug ist nicht das
Wildleder, sondern das Signalhorn. Man spricht davon, dass es eigens für den jungen Mann erfunden wurde.
Nun habe ich eine Frage an den Autobesitzer. Haben Sie. lieber Freund, Arthur Schopenhauers Brief an den
Frankfurter Senat gelesen, darin der Philosoph sich wegen des „verdammten Peitschenknallens" beschwert, „das
verboten werden muss straßauf, straßab in allen Landen, weil es einem die Stimme verschlägt und der Sinne beraubt
und die Kraft zu denken vernichtet." Ich frage: Was ist ein Peitschenknall gemessen an Ihrer Autohupe? Aber der
junge reiche Mann kennt Arthur Schopenhauer nicht, und wenn ihm der grollende Philosoph je über den Weg liefe, dann
würde er den alten Herrn mit seinem Signalhorn zu Tode erschrecken.
Es ist gar nicht auszudenken, was Schopenhauer, lebte er heute, dem Bundesparlament über die lärmenden Horden der
mit Mopeds und Kofferradios ausgerüsteten Jugendlichen zu sagen hätte; denn gewiss hätte sich der Gelehrte gleich
an die oberste Stelle gewandt. Mir jedoch bleibt nichts, als die Fenster zu schließen und mir ebenfalls, wenn
nicht gerade ein Auto, so doch wenigstens ein Signalhorn zu wünschen.
Die Amerikaner, die uns in diesem Punkt ein wenig voraus sind, haben das Lärmproblem gelöst, auf ihre amerikanische
Art natürlich. In einem ihrer Filme spielt ein Mann die Hauptrolle, der sich durch operativen Eingriff das Gehör
wegnehmen ließ. Er ist taub, und die Taubheit bekommt ihm so gut, dass er unentwegt vor sich hinlächelt.
Lautsprecher sind in seinem Büro Lichtsignale getreten, und das Fenster ist den ganzen Tag geöffnet. Wenn er Lust
hat. sich irgendetwas anzuhören, die Sekretärin, den Sohn oder den „RiverKwaiMarsch", dann schaltet er seine
künstlichen Ohren ein. Diese künstlichen Ohren sind so fein, dass er sofort hören kann, wer in seinem Büro
Butterbrote isst, statt zu arbeiten.
In der linken Westentasche trägt dieser Amerikaner ein winziges Gerät, das zum An und Abstellen der künstlichen
Ohren dient. Kein Besucher weiß, ob Mister Beverly zuhört oder ob er in den Gefilden seliger Geräuschlosigkeit
umherschlurft.
Leider galt diese Art. sich aus dem Donnerhall unseres technischen Zeitalters auszuklammern, in jenem Film nur für
das Leben im Büro. Jedenfalls war zu sehen, dass die rüstige Gattin, bevor sie mit ihrer Rede begann, sich des
Geräts in der Westentasche bemächtigte. Gegen diese Maßnahme, fürchte ich, werden auch die listigsten
amerikanischen Erfinder nichts ausrichten können.
Von Bernhard Schulz
Badische Neueste Nachrichten, 30. April 1959
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