Rheinisch Bergischer Kalender
Aus bergischer Kindheit in die Welt des
Fabulierens
Bernhard Schulz, Erzähler aus Lindlar: Leise, heiter,
hintersinnig
Da schwebten sie herein: „10 himmlische
Geschichten für Engel" — in einem Geschenkbuch 1993 aus dem Gustav Lübbe Verlag Bergisch Gladbach. Und unter den
zehn Autoren der kleinen Sammlung so prominente Namen wie Maxim Gorki und Selma Lagerlöf, Oscar Wilde und Elke
Heidenreich. Doch wer ist Bernhard Schulz? „Insider" mögen ihn auch im Bergischen Land noch (und wieder) kennen, den viele Tausende von Lesern lieben
und der in dieser Publikation in seine Heimat zurückgekehrt ist — 80 Jahre, nachdem er in Lindlar (1913) geboren
worden war. Journalist hatte er schon früh werden wollen — und so volontierte er nach dem Besuch der
Paritätischen Höheren Lehranstalt in Engelskirchen und des Humanistischen Gymnasiums in Wipperfürth bei der
Rheinisch-Bergischen Zeitung, Verlag Johann Heider, in Bergisch Gladbach.
Heimatkalender im Wäschekorb
Hier verknüpft sich der Lebenslauf schon ein
zweites Mal mit dem heutigen „Rheinisch-Bergischen Kalender". Denn Bernhard Schulz kann sich noch gut an den Tag
erinnern, als in Lindlar vor dem Schreibwarengeschäft Artur Oedekoven aus einem Wäschekorb der erste „Bergische
Volkskalender" überhaupt verkauft wurde. Da muss er sechs Jahre alt gewesen sein, denn diese Ausgabe für 1920
erschien am Jahresende 1919. Dr. Anton Jux, der wenig später die Redaktion übernahm, war der Klassenlehrer des
Knaben und sollte neben dem Engelskirchener Zeitungsverleger Edmund Schiefeling in den folgenden Jahren zum
Förderer des jungen Talents werden bei dessen Bemühungen, schreiben zu lernen — für Zeitungen, für
Bücher. Die Bindungen an die Heimat blieben
erhalten, auch wenn die Lebensumstände für immer aus dem Bergischen Land hinausführten. Bernhard Schulz
arbeitete in der Pressestelle der Kriegsmarine. Als
Junge stand Bernhard Schulz an der „Wiege" des Heimatkalenders, nämlich neben dem Waschkorb, aus dem Dr. Anton
Jux vor dem Schreibwarengeschäft Arthur Oedekoven in Lindlar den „Bergischen Volkskalender" verkaufte, der in
erster Ausgabe für 1920 erschienen war und seit 1960 „Rheinisch-Bergischer Kalender" heißt. Der Knabe mit
Schillerkragen, Gebetbuch und Uhrkette, vom Onkel geschenkt. Die Uhr sollte erst zur Schulentlassung
nachgeliefert werden, wozu es jedoch nie kam. Aufnahme: Hermann Sasse.
Eckernförde, als Lektor in Hannover und im Verlag August Scherl in
Berlin. Nach dem Krieg mit den Feldzügen in Polen, Frankreich und Rußland gelang in Osnabrück der Neuanfang als
Feuilleton-Redakteur. Dort bei der Neuen Osnabrücker Zeitung saß auch Gustav Lübbe — und wieder schließt sich ein
Kreis. Lübbe, im mehrfachen „Jubeljahr" seines Unternehmens, das er vor über vier Jahrzehnten in Bergisch Gladbach
aufzubauen begann, hat 1993 den einstigen Kollegen „heimgeholt" an den Ort der Ursprünge und frühen Taten, reihte
ihn ein in die Autorenschaft seines Verlags.
War es Zufall, dass es gleichzeitig eine weitere
Brücke in die rheinisch-bergische Jugend gab? Denn der Verlag der Kölner Nyland-Stiftung brachte im Dezember
1993 ein ganzes Geschichtenbuch von Bernhard Schulz heraus. Die Nyland-Stiftung aber geht zurück auf Josef
Winckler, den Verfasser des „Tollen Bomberg"),
der 20 Jahre lang im Bensberger Frankenforst lebte. Seit 1966 liegt er auf dem Bergisch Gladbacher
Laurentius-Friedhof begraben.
Unverwechselbare Form
Zeit der Zimtsterne und der
Schaukelpferde
Die Zeichnungen in diesem Beitrag sind
Illustrationen von Bruno Kröll aus „Ruprecht mit dem Holzbein", Nyland, Köln, 1993.
Es sind 23 „Geschichten zur Weihnachtszeit", die
das Nyland-Buch unter dem Titel „Ruprecht mit dem Holzbein" vorstellt, eine Erzählung aus der Lindlarer
Jugendzeit des Autors — und bei Lübbe erzählt Bernhard Schulz von der „Brotausgabe 18 Uhr" am Heiligen Abend,
dem letzten Dienst eines Gefängnisaufsehers vor dem Ruhestand und dessen Gedanken über die ihm anvertrauten
Insassen.
Was ist das Besondere, das diesem leisen und
heiteren, ja so leicht und hintersinnig zugleich plaudernden Erzähler aus dem Bergischen Land, der nun schon ein
halbes Jahrhundert in Niedersachsen verwurzelt ist (Osnabrück, verheiratet,
drei Kinder), mit seinen nahezu 20 Büchern
so großen Erfolg brachte? Der hatte schon 1934 begonnen, als er im „Wettbewerb rheinischer Schriftsteller" in
der Sparte „Erzählungen" den ersten Preis**) gewann für den Versuch „Die Stunde der Söhne". Im gleichen Jahr
schrieb der Einundzwanzigjährige „Das Löwenbanner", einen Heimatroman um Pastor Ommerborn und die
Franzosenzeit, der 1937 in 26 ganzseitigen Fortsetzungen im Westdeutschen Beobachter erschien. 60 Jahre eines
Schriftstellerlebens, in dem Bernhard Schulz zu seiner unverwechselbaren Form gefunden hat. Eine Kollegin,
die sein Schaffen lange begleitet hat, schreibt über ihn.
*) siehe Rheinisch-Bergischer Kalender 1978, S.
140 ff.
**) Den 1. Preis für mundartliche Dichtung erhielt
Franz Peter Kürten (1891_1957), damals noch in Birkesdorf lebend, später im rechtsrheinischen Dünnwald (siehe
Rheinisch-Bergischer Kalender 1992, S. 209—211).
Eine Kostprobe
aus der „Werkstatt" des
Autors
Zahlreiche dieser kleinen und größeren Geschichten
spielen in und um Lindlar. Deshalb sei — mit freundlicher Genehmigung des Verlags der Nyland-Stiftung, Köln —
dem Autor selbst das Wort gegeben mit einer Weihnachtsgeschichte aus dem alten Lindlar (um
1920).
Der Stall von Bethlehem
Am Tag vor Heiligabend fing der Küster an, den
Stall von Bethlehem aufzubauen. Er war den ganzen Tag über damit beschäftigt, die Krippe zusammenzusetzen und
den Bereich rings um den Stall mit irischem Moos zu polstern. Alles sollte so aussehen, wie es damals im
Heiligen Land gewesen war oder wie der Küster sich das Heilige Land vorstellte. Hinter der Krippe mussten
Fichten stehen, eine Mauer aus Grün, und über der ganzen Herrlichkeit hing von der Decke herab der Komet mit
seinem goldenen Schweif. Dann schaffte er die
Figuren vom Kirchenboden herab, wo sie den Rest des Jahres verbracht hatten, und staubte sie ab. Spinnen mussten
entfernt werden, und hie und da war an den Figuren Farbe abgeblättert. Es gab viel zu tun, zu putzen, zu malen
und hin und her zu rücken, bis sich die Krippe mit Maria und Josef und dem Kindlein in der Wiege sehen lassen
konnte. Am Heiligen Abend würde die Krippe im
Glanz dicker Kerzen erstrahlen, und an allen Nachmittagen im Januar würden die Mütter mit ihren Kindern kommen
und beten. Sie würden das Wunder bestaunen und bestaunen auch die Hirten mit
ihren Lämmern und dem dicken Ochsen, der in
Kumpanei mit dem Esel die gesamte Tierwelt ausmachte. Bevor die große Krippe in der Dorfkirche aufgestellt wurde, durften wir
Kinder uns an einer kleinen Krippe im Schaufenster des Schuhmachermeisters Sebold erfreuen. Der
Schuhmachermeister war ein frommer Christ, dem es nicht genügte, erst am Heiligen Abend das Wunder der Geburt
Christi zu erleben. Deshalb stellte er schon am ersten Sonntag im Advent eine kleine Krippe auf, die sein
Großvater, der ebenfalls Schuhmacher gewesen war, aus Oberammergau mitgebracht
hatte. Hier im Schaufenster, wo gestern noch
derbe Stiefel und Filzpantoffeln gezeigt wurden, war jetzt vor üppigem Fichtengrün das Oberammergauer
Krippchen zu sehen, mild beleuchtet von einer roten Laterne. Vielleicht lag unsere Begeisterung daran, dass wir Kinder nicht genug
davon bekommen konnten, uns auf Weihnachten zu freuen. Wir malten uns immer wieder aus, wie es am Heiligen
Abend sein würde. Wir nahmen das Bild in uns auf, diesen Stall von Bethlehem, der den Anfang eines neuen
Zeitalters gesetzt hatte. Meine Eltern ließen
beim Meister Sebold arbeiten. Schuhe wurden damals nach Maß gefertigt. Ein Schuhmacher war in der Tat ein
Schuhmacher. Ohne den Schuhmacher lief nichts. Und vor allem war er ein guter Mensch, der für trockene Füße
sorgte, und darauf kam es an im Winter.
Als meine Mutter einmal die Werkstatt des Meisters
besuchte, um ein Paar Schuhe besohlen zu lassen, sagte sie: „Das Krippchen ist reizend. Die Kinder stehen da und
träumen von Weihnachten." „Das erwarte ich auch",
entgegnete der Meister, „die Kinder kommen und bringen mir Heiligenbildchen für das
Christkind." Er zeigte auf eine Schachtel, die
mit bunten Bildchen gefüllt war, auf denen Heilige dargestellt waren. „Haben die Schuhmacher auch einen Heiligen?" fragte meine
Mutter. „O ja", antwortete der Meister, „wir
haben den heiligen Crispinianus." „Das ist aber
schön", sagte Mutter. Sie war verlegen. Es war
ihr peinlich, dasss sie den Schuhmachermeister Sebold kannte, aber sie kannte nicht den heiligen Crispinianus,
der seine Hand über den Meister und in gewissem Sinn auch über ihre durchlöcherten Sohlen
hielt.
(Aus Lindlar)
Von Ursula Schmidt-Goertz
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