Rache auf der breiten Wand (März 1962)
Die Wildwestfilme, die ja Amerikas großes Exportgeschäft sind, leben in der Hauptsache von dem
Umstand, daß Indianer Strolche sind. In jedem Western schaut irgendwann ein verkommener Indianer um die Ecke, der
soeben ein Pferd gestohlen oder eine Ranch angesteckt hat.
Die Rothäute sind übel dran. Sie müssen immer noch mit ansehen, wie ihresgleichen geschmäht,
verdächtigt und umgebracht wird - auf der Leinwand, und die Musik spielt dazu. Es liegt daran, daß nicht die
Indianer, sondern die Weißen diese Filme drehen und Handel damit treiben. Der Film rechtfertigt auf diese Weise den
einseitigsten Krieg, der je geführt wurde, nämlich die Ausrottung der Ureinwohner Amerikas.
Aber die rote Rasse ist nicht ganz verschwunden. Der letzte Mohikaner lebt immer noch, und
manchmal ist es auch ein letzter Sioux, der von sich reden macht, wie jetzt zum Beispiel ein gewisser Mister
Stribling.
Dieser Mister Stribling ist ein waschechter Sioux und heißt daheim, in seinem Wigwam
gewissermaßen, Großer Hirsch. Er ist vielfacher Dollarmillionär und bewohnt ein Haus mit mehreren Kühlschränken und
zahlreichen Fernsehtruhen. Er badet regelmäßig in einem nierenförmigen Schwimmbecken mit Ölheizung, fährt mit dem
Straßenkreuzer ins Kino, kauft Aktien, stiftet Literaturpreise und lädt den Rektor der Universität zum
Abendessen ein. Und dies kann er alles, weil er auf seinem Grundstück Öl gefunden hat.
Großer Hirsch ist ein gebildeter Mann, der die Würde eines ganzen ausgerotteten Volksstammes in
sich aufbewahrt. Wenn ich ihm nachsage, daß er ins Kino geht, dann nur deshalb, weil er auf dem Laufenden bleiben
will; denn Großer Hirsch päppelt eine Idee, und diese Idee hat Großer Hirsch gestern in die Tat umgesetzt. Er hat
eine Filmgesellschaft gegründet, mit einem Kapital und einem Vorrat an Drehbüchern, die Mister Goldwyn-Mayer, als
er davon hörte, erbleichen ließen.
In Mister Stribling, dem Ölmillionär, ersteht den Indianern Nordamerikas der Rächer; denn Mieter
Striblings Gesellschaft will nur Filme herstellen, in denen nicht die Indianer, wie es in Hollywood üblich ist,
sondern „die Bleichgesichter zu spät kommen".
Endlich werden wir erfahren, wer in Amerika zuerst an Land gegangen ist, wer das Skalpieren erfunden und das Pferd
gestohlen und die Ranch angesteckt hat. Endlich kommt die Wahrheit über den Tod der Büffel und die Schändung der
Häuptlingsgräber ans Licht. Endlich kommt es heraus, wer wen mit Feuerwasser trunken gemacht und beraubt hat. Aus
der Asche unzähliger Wigwams steht der Indianer auf, der sein Recht auf Heimat und Büffelfleisch verteidigt.
Wir werden die großen Häuptlinge der nordamerikanischen Rasse in abendfüllenden Monsterstreifen
erleben. Sie werden keine Postkutschen und Banken überfallen. Sie werden keine Pferde und Kälber stehlen. Aber sie
werden die goldgierigen Weißen verachten und zurückschlagen. Die Helden kommender Wildwestfilme heißen Sitting Bull
und Rote Wolke und Chief Joseph und Locking Glass und Osceola, der große Krieger der Seminolen.
Was war es doch, was auf der New Yorker Pressekonferenz aufhorchen ließ? Mister Stribling sagte: "In den Filmen
meiner Gesellschaft werden die Bleichgesichter zu spät kommen!" Es ist anregend, darüber nachzudenken, welche
Folgerungen sich aus diesem Satz ziehen lassen.
Was mich als Filmbesucher angeht, so gestehe ich offen, daß ich schadenfroh bin und daß ich mich über diese späte
Rache auf der breiten Wand freue.

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