Die Wallfahrt nach dem Pferde
Die Erzählung
"Die Wallfahrt nach dem
Pferde" in Frakturschrift lesen.
Um die Mitte des Winters, an jenem Tage etwas, als vor vielen Jahrhunderten der Herr in einem
Stalle zu Betlehem geboren wurde, geschah es, dass ein warmer Föhn über die Berge kam. Der Schnee tropfte von den
breiten Armen der Eichen, die im Gewoge der Fichten wie Ritter waren, die dem Sturm zu trotzen wissen und in blauen
Perlenschnüren verlief das Wasser an den schlanken Ruten der Haselsträucher.
Das war zauberhaft wie das Wehen des Frühlingswindes, der noch im Schoße der Nacht ruhte, - das orgelte durch die
Wälder und entlockte dem Heckenstrauch erste braune Knospen, das war so ungestüm und drängend, dass die Amseln
süßer flöteten und die Scharen der Krähen in den Obstwiesen sich wie Marktleute um die Äpfel stritten, die der
Schnee nun freigab. In der Nachtstunde vor dem Hahnenruf, da dieses sich ereignete, rutschte auch die Schneelast
vom Dache, mit einem Male und so trommellaut, dass der Mann jäh erwachte, sich aufrichtete von seinem Lager und
namenlos erschrocken ins Dunkle horchte, als sei ein Schuss gefallen – oder die Türe sei mit einem Stiefeltritt
eingehämmert worden – under der Feind halte den Atem an, weil ihm der Schuss in der großen Stille den Mut genommen
habe, weiterzuschreiten. Doch nichts erfolgte, alles war tiefes, ernstes, unfassbares Alleinsein und nur die
Dielenbretter knackten unter seinem einsamen Schritt.
Er setzte die silberne, hochstenglige Öllampe in Brand und schaute, entzündet von einer großen Unruhe, in den
Stall: Hier hatte im Herbst das Pferd gestanden, sein Schnauben war hier gewesen in der dunklen Enge, die vom Haus
genommen wurde und der herbe erdige Geruch des Leibes.
Wie das Licht flackerte von dem Wind, der durch die Ritzen sang und dem willigen Auge glänzende braune Flanken
zauberte, glaubte er das Pferd zu erkennen und den Schlag seines nahen Herzens zu spüren. Die Freude am Besitz des
starken treuen Tieres durchrieselte sein Blut, aber es waren nur die Bretter des Verschlages, die das Pferd mit
seinem Körper blank gescheuert hatte. Wie hätte auch das Pferd hier stehen können, auf dessen Rücken kroatische
Söldner das Land durchritten und anders nicht sein konnten als Mordbrenner, Plünderer und Mädchenschänder?
Damals, als das Pferd gestohlen wurde, während schwerer Schlaf ihn fesselte und seine Glieder sich nicht rühren
konnten, den Feind zu würgen, hatte der Sturm das Haus befallen und waren die Bäume kahl gewesen und ächzend vor
Schmerz. In den Wind war er gelaufen, weil es brandig roch und nach dem Schweiß von Männern, wie er gerne geglaubt
hätte, meilenweit, eine Sonnenreise weit und das Leder seiner Stiefel war zerfetzt von dem Lauf durch die Dornen,
dem Waten durch knietiefe Bäche und dem torkelnden Fall auf spitze Steine. Je weiter er lief, desto fahler wurde in
den Nächten das rote Geleucht am Himmel und desto schwächer roch es nach Pferden, wenn nicht gar nach faulendem
Moos und dem Versteck des Wildes.
Seitdem hatten ihm die Feinde wohl den Frieden gelassen, aber seine Einsamkeit war schrecklicher
als Frieden und Krieg. Manchmal traf er Bauersleute, die scheu und ängstlich durch den Wald huschten und
Verstecke suchten, damit sie ihre Habe vor dem Feinde verbergen könnten. Dann vernahm er von der rohen Gewalt
der Schweden und von ihren tierischen Eingebungen und dass kein Herr und kein Führer sei, sie zu züchtigen. In
solchen Stunden konnte er wild und trotzig vor seinem Hause stehen und die Bäume auffordern, sich zu neigen und
konnte ihnen mit dem Messer weiße Wunden schlagen, dass die Späne flogen und konnte in seiner unbezähmten
Kampfesgier so töricht sein, den Eber mit dem Knüppel anzufallen. Der schlitzte ihm das Bein auf und machte ihm
sehr zu schaffen, dass er ihm bald unterlegen wäre, dann aber zerriss er des Tieres Adern mit dem Messer derart,
dass der feuchte Waldboden des Schwarzkittels Blut trank und die Blätter der Eichen nun saftiger rot waren als
die der Blutbuchen.
Einst war er über den Berg gezogen, weithin der Sonne zu, einen Pflug auf der Schulter, und
hatte, wo sein Haus nun stand, eine Handvoll Erde geschmeckt wie Brot. Das Dorf und seine Jugend lagen hinter
ihm wie eine Insel stillen Friedens. Er erinnerte sich der Mittage, da er auf der Tenne Korn drosch, die
Burschen wilde Lieder sangen und an den Abenden unter blühenden Obstbäumen mit Mädchen sprachen, deren Atem
nächtens ihre Wangen berührte. Das alles war groß und gut und in fernen Zeiten würde es auch auf seinem Hof
nicht anders sein .
Der Vater hatte nach Osten gedeutet und ihm den Griff des Pfluges in die Hand gegeben, es geschah alles nach einem
ungeschriebenen Gesetz. Knechte ritten ihm nach mit Wagen voll Gerät. Sie brachen Steine aus dem Berg und spalteten
das Holz zu Balken und mischten Lehm mit Stroh, um das alles zu verbinden und gegen Wind und Regen abzudichten. Sie
rodeten und brachen den jungen Acker um und lange noch, als die Knechte längst wieder im Dorf weilten, lag der
Brandgeruch des harzigen Wurzelwerks in seinen Kleidern.
Und nun sollte er den Acker pflügen und eggen, düngen und entsteinigen, das Erdreich hob sich braun und locker zu
der Wintersonne, es schrie nach starken Händen, die es segneten. Doch diente ihm das Pferd nicht mehr, kein Wiehern
antwortete seinem Ruf, kein helles Schnauben und in dem Stall war nur ein leiser Duft davon, der sich der Kühle des
Troges mischte und dem staubigen Geschmack des Strohs.
Der Mann tastete mit der Hand über die Bretter, die vom warmen Leib des Pferdes glatt geschliffen waren und gerillt
wie jene silberhellen Wände von Scheunen, die der Regen putzt. Er sehnte sich danach, das Tier streicheln und seine
Hand in die knistern Mähne zu graben. So heftig überkam ihn der Schmerz um seinen Arbeitskameraden, mit dem er die
blauen Sommernächte und die Einsamkeit sturmtoller Herbsttage unter einem Dache erlitten hatte und so betrübte ihn
die ungestillte Sehnsucht seines jungen Ackers, in dem noch hie und da die Wurzeln knorriger Eichen und Föhren sich
festgeklammert hielten, dass Tränen über seine Wangen liefen und die Steine netzten, auf denen einst das Pferd
unruhig war vor der aufgehenden Sonne und den Griff des Mannes nicht erwarten konnte, der es in die Sielen
zwang.
Westdeutscher Beobachter Köln, WB, 31.12.1936
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