Walhalla- Kronzeuge des Mittelalters

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Hans-Joachim Heithaus plaudert über Osnabrücks „Walhalla

Wer es vermöchte, dieses Haus, das heute „Walhalla" heißt, zum Reden zu bringen, würde einen Abend lang Geschichten zu hören kriegen, die sein Entzücken wachrufen müssten. Vielleicht wird die alte Dame, der das Haus zu eigen ist, und die mitunter hier zu Besuch weilt, um an der Stätte ihrer Kindheit und ihrer Tätigkeit als Wirtin Rückschau zu halten, eines Tages die Geschichten des Hauses Bierstraße 24 aufschreiben: denn noch ist es nicht zu spät, sie festzuhalten, noch sind sie greifbar

Perlenbestickte Brauthaube

Manches Haus in der Bierstraße ist im Kriege unter den Bomben zusammengestürzt und hat alle Erinnerungen an seine Bewohner und die Schicksale, die sich in ihm abspielten, begraben. Die Walhalla — sie wurde 1690 erbaut — ist eines der reichsten Häuser in Osnabrück, was die Erinnerung betrifft. Es besitzt die intime Wärme ganz alter Patrizierhäuser. Es ist liebenswürdig und geheimnisvoll wie eine Nußbaumkommode, zu deren Schubladen eine Zeitlang die Schlüssel verloren waren und die nun vergessene Schätze ans Licht wirft: Die Fotografie der Großmutter im schwarzseidenen Rüschenkleid, das Etikett einer Weinflasche aus dem Jahre 1827, ein buchseitengroßes vergilbtes Zeitungsblatt mit Intelligenznachrichten, eine perlenbestickte Brauthaube, ein Ballfächer und eine Rechnung über zwei Schock Eier …

Duft alter Dinge

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Dies alles sind Nichtigkeiten für den Vorübereilenden. Wer jedoch die alten Häuser liebt — und wer unter uns verehrt sie nicht? —, wird auch den Duft dieser alten Dinge lieben, ihre Anschaulichkeit, ihre Macht zu verzaubern, ihre Entrücktheit aus dem Kreise der uns bedrängenden Notwendigkeiten.

Er wird gerne bereit sein, die alte Dame, sie heißt Anna Grabe, ein Stück Weges zu begleiten: Da ist mit Viehhändlern aus dem Emsland zu sprechen. Da müssen Bauern aus dem Hümmling nach der Buchweizenernte befragt werden. Da speist im kleinen Saal der Prinz von Siam, den es — Gott allein weiß warum — hierhin verweht hat. Da ist jener Fremde mit dem schlohweißen Nikolausbart, der auf seinem Zimmer ununterbrochen betet, weil er ein Gelübde getan hat.

Das große Feuer des Luftkrieges fraß viele Sehenswürdigkeiten Osnabrücks auf. Zu den wenigen Schmuckstücken, die der Stadt erhalten blieben, zählt „Walhalla", ein Haus, das wie kein anderes das Mittelalter zu repräsentieren weiß. Foto: Hartelt (FP)

Von Lortzing bis Möser

Da sind die guten Geister des Hauses, der Komponist und Kapellmeister Lortzing, der Maibesinger Lyra und der des Wortemachens kundige Möser. Da ist mit Heldentenören, Komödianten und Ratsherren zu reden. Da muss mit holländischen Kaufleuten angestoßen und den wohlhabenden Bürgern der Stadt ein Neujahrsessen angerichtet werden.

Da kommen Dienstmägde aus Ankum, Marktweiber aus Bramsche und Geflügelbauern aus Lemförde. Da hängen Fasanen, Rehe, Hasen und Rebhühner in der Vorratskammer. Wein von der Mosel und Rotwein aus Burgund und der Süße aus Portugal. Menschen kommen und gehen, tragen ihren Namen ein und kritzeln gutgelaunt einen Lobspruch ins Gästebuch.

Last der Zeit

Die Eichenbalken des Hauses biegen sich unter der Last der Jahrzehnte, die fast schon Jahrhunderte sind. Das Dach knickt ein wenig ein. Die Fußböden senken sich. Aber hinter den blanken Scheiben mit den Geranientöpfen auf der Fensterbank werden Hochzeiten und Kindtaufen gefeiert. Bauern begießen ihren Handel. Ratsherren stärken sich in den Sitzungspausen Und Schauspieler memorieren ihre Rollen. Kriege, Revolutionen, Erfindungen, Entdeckungsreisen, Attentate, Dichtungen und Kunstwerke werden hier besprochen.

Klopfet nur an ...

Den Namen „Walhalla" mag eine rothaarige Sängerin gestiftet haben, wer weiß das? Vielleicht auch ein Weinhändler, der hier seinen Sekt kosten ließ und es himmlisch fand, zu schlemmen.

Es ist kein stilles Haus,kein Haus abseitiger Menschenfeindlichkeit; es ist jedem aufgetan, es ist immer bereit zu trösten, unter seinem Dach schneiden sich die Kurven unzähliger Schicksale. Dafür ist es ein Gasthaus. Sicher ist, dass es in der Walhalla himmlisch zuging, was das Behagen der Gäste anging, und dass sein guter Ruf überall dorthin drang, wo man den kräftigen Geruch der Bürgerlichkeit bevorzugte. Seit einigen Tagen ist die Walhalla durch ein gediegen gestaltetes Lortzingzimmer bereichert worden. 

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Bernhard Schulz

Neues Tageblatt 14.09.1948 und Freie Presse 19.04.1952