Lady Peng-peng  1973

In der guten alten Zeit, die unserem Gedächtnis immer noch hartnäckig vorschwebt, waren die Dinge alt, aber sie waren nicht durchweg gut. Alt war zum Beispiel das Problem, wie man satt werden sollte und auf welche Weise dem bitteren Los zu entgehen war, vom Landesvater zum Militärdienst rekrutiert und an eine fremde Krieg führende Macht verkauft zu werden.
Ich weiß, dass dies der Grund ist, warum ich in Amerika Verwandte habe. Die Verbindung zu den Auswanderern besteht immer noch. Es sind Familien, die es zu etwas gebracht haben, und jedes Jahr um die Weihnachtszeit tauschen wir miteinander Grüße und Greetings.
Gelegentlich unternahm einer von ihnen eine Europareise, besuchte das Dorf, aus dem sein Urgroßvater Anno Tobak aufgebrochen war. Der Enkel wusste zu erzählen, dass der Stammvater nach monatelanger Reise mit dem Segelschiff drüben angekommen war. Er hatte das Gold für den Anfang in Amerika in einem Leinensäckchen auf der nackten Brust getragen, und Daten und Unkosten der Überfahrt hatte er im Gebetbuch vermerkt.
Besuch aus Amerika, das war ein Ereignis, das sich mit keinem anderen Fest vergleichen ließ, nicht einmal mit einem Jahrmarkt oder mit dem Stiftungsfest der Freiwilligen Feuerwehr. Ich erinnere mich an ein junges Mädchen aus der Sippe meiner Mutter, die eines Tages an unsere Tür klopfte. Sie hieß Phoebe und kam aus Texas.
Tante Phoebe wollte sich, wie sie es ausdrückte, dieses „verdammte alte Europa“ ansehen. Später stellte sich heraus, dass es blankes Heimweh war, eine Krankheit, die nach drei Generationen Amerika vulkanartig in ihr ausgebrochen war. Phoebe gewann, obwohl sie „verdammt“ gesagt hatte, im Handumdrehen die Herzen der Familie und der Nachbarn, die ihre schneeweißen gepflegten Hände bewunderten, mit denen sie auf dem Klavier deutsche Volkslieder spielte.
Aber es gab noch etwas anderes, das wir bewunderten und das ebenfalls mit ihren Händen zu tun hatte. Tante Phoebe machte nämlich Schießübungen mit dem Revolver. Wenn sie zum Schießen in den Obstgarten ging, der vor dem Dorf lag, zog sie Reithosen und Stiefel an. Sie schnallte den Gurt mit dem Colt um die schmalen Hüften, sammelte sich innerlich und griff auf ein Kommando, dass sie sich selbst erteilte, blitzschnell mit ihren schönen Händen nach der Waffe. Sie schoss auf leere Weinflaschen, die ich vorher nach ihrer Anweisung in die Apfelbäume gehängt hatte.
Ein Mädchen, das Schießübungen vornahm, war ein für das Dorf ungewöhnlicher Vorgang, um den sich bald der Ortsgendarm kümmerte. Zur Sache verhört, sagte Tante Phoebe aus, dass sie im Training bleiben solle; denn in Texas müsse man vor allen möglichen Gefahren auf der Hut sein, in der Hauptsache vor Pumas und Giftschlangen, aber auch vor den Indianern und Gangstern. Das Training mit dem Revolver war für Tante Phoebe ein Problem der Selbsterhaltung; es wurde ihr, nachdem gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden konnten, erlaubt.
Ja, es kam so weit, dass sich der Ortsgendarm von Tante Phoebe beibringen ließ, wie man in Texas blitzschnell auf eine Gefahr reagiert und den Colt abfeuert. Peng-klirr, peng-klirr, peng-klirr. Es machte den Beamten Spaß, er hatte jetzt eine brachliegende Fähigkeit entdeckt, aber gottlob gab es in unserem Dorf nichts zum Abschießen.
Tante Phoebe – die Dorfbewohner nannten sie inzwischen Lady Peng-peng - war im Sommer angekommen. Als sie ihren Vorrat an Munition verschossen hatte und leere Flaschen im Dorf rar wurden, war es Herbst geworden. Die stromerte umher und schleppte für Tante Phoebe alte Eimer zu durchlöchern herbei, und mir war weh ums Herz, weil Lady Peng – peng nun bald ihre amerikanischen Koffer packen würde.