Rhododendron im Ammerland
Bad Zwischenahn serviert Spezialitäten: Läpeldrunk und Smuttaal
Ein Reisebericht von Bernhard Schulz
28.Juni 1958
Bad Zwischenahn liegt im Ammerland. und das Ammerland liegt rings um das Zwschenahner Meer, und
das Zwischenahner Meer ist ein halb friesisches und ein halb oldenburgisches Gewässer, und das Ganze plätschert
irgendwo da oben im Norden.
Wenn auf den Richtungsweisern zum ersten Male „Bad Zwischenahn" angezeigt wird, in Friesoythe
etwa, spürt man bereits die Nähe des Wassers. Möwen schreien über dem Moor, und der Wind flirrt durch das zartgrüne
Laub der Birken, von denen die Straßen gesäumt sind.
Aber man spürt auch die Nähe des Rhododendrons; denn Bad Zwischenahn ist seines Rhododendrons
wegen berühmt. Er bildet am Seeufer baumhohe grüne Glocken, die im Juni zu blühen beginnen und ihren Duft weithin
ausströmen. Der Blütenduft mischt sich mit dem Geruch des Wassers und dem würzigen Atem des Heus, und aus den
Torfkuhlen dampft der Regen der letzten Gewitternacht.
Der Rhododendron ist von Zwischenahn aus, sprungweise Dorf um Dorf, auf Wanderschaft gegangen.
Er blüht auf Friedhöfen und in den Anlagen vor dem Standesamt. Er verschönt Siedlungshäuser und Bauernhöfe. Er
dämpft die Erregung des Ehrenmals für die Gefallenen und hebt die Verlockung des Traumpalastes für die
Lebenden.
Mitten auf einer Kuhweide wölbt sich eine violette Kuppel über der Bank, auf der sich abends die
Mägde vom Melken ausruhen, ein grünes Haus voller Kühle und Frömmigkeit. Das Ammerland ist ein
Rhododendronland.
Die Erde, da wo sie vom Pflug und vom Spaten aufgewühlt ist, besitzt eine schwarzbraune, torfige
Farbe. Torf ist der Grundakkord der Landschaft. Selbst das Wasser ist so schwarz, daß es den blauen Himmel mit
seinen silbernen Wölkchen nicht spiegelt. Schwarz sind die buckligen Bedachungen der Schafkofen im Moor. Schwarz
ist das Brot und die Schwarte des Räucherschinkens und die Kruste des Smuttaals. Schwarz sind die Reitdächer der
Bauernhäuser. Schwarz sind die Pfade, die durchs Moor führen. irgendwohin wo Immenkörbe aufgestellt sind und
Kiebitze nisten und Fischreusen im See liegen.
Irgendwo dahinten wird ein Krug sein, wo eine Frau den Gästen das Brot schneidet, indem sie es
an die Brust drückt, und der Schnaps wird aus dem Zinnlöffel getrunken. Ich vergaß zu sagen, dass die Frau mit dem
Messer das Kreuzzeichen ins Brot kerbt, bevor sie es den Gästen reicht, Sie zehren noch von Milch und Brot, und der
Zinnlöffel wird nur einmal gefüllt, und das Geschlürf aus dem Löffel ist eine Zeremonie der Gastfreundschaft Wir
sind im Ammerland, und das Ammerland ist noch nicht entdeckt jedenfalls nicht so gründlich entdeckt, wie der
Drachenfels und das Hermannsdenkmal und der Rheinfall bei Schaffhausen entdeckt sind.
Das Besondere an Zwischenahn ist das „Ammerländer Bauerogehöft", ein Freilandmuseum am Seeufer,
dass der Verein für Heimatpflege aufgebaut hat. Die Häuser wurden an anderer Stelle sorgfältig abgebrochen und
Stein um Stein. Balken um Balken, wieder zusammengefügt. Heimatfreunde verwirklichten ihren Traum, ursprüngliches
bäuerliches Leben, bäuerliche Kultur und ammerländisches Volkstum der Nachwelt zu erhalten.
Das Gehöft besteht aus dem eigentlichen Bauernhaus mit seinen Nebengebäuden, der Scheune, dem
Spieker, der Timmerkammer, dem Backhaus, dem Bootsschelf, der Darre mit dem Hopfengarten, dem Bargfred, der
Bleicherhütte und dem Immenschauer. Dazu gehören das Einraumhaus, die Schmiede, das Heuerbaus, das
Doppelheuerhaus, der Schafkoven und der „Hogenhagen", ein kleiner Bauernwald.
Dies wäre also das Reich eines Bauern, wie es sich um die Mitte des 17. Jahrhunderts im
Ammerland darstellte. Es war wirklich ein Reich, eine kleine souveräne Macht, eine selbstbewusste und sehr
brauchbare Welt, die Miniaturausgabe eines Staates. Und der König war der Bauer.
Im Heuerhaus tritt den Besuchern ein barfüßiges Mädchen entgegen, zehn Jahre alt, hinter jedem
Ohr ein Zöpfchen, und schnattert: „Das Haus wurde im Jahre 1638 erbaut. Es ist ein Heuerhaus. Das elektrische
Licht haben die Engländer gemacht. Früher hatten wir Petroleum. Die Schinken gehören den Leuten in der Stadt. Meine
Eltern wohnen hier seit zwanzig Jahren. Pro Person einen Groschen bitte." Sie hält lachend die Hand auf und sammelt
die Groschen ein, und die Groschen kassiert der Heimatverein, und das Mädelchen legt sich abends in den Alkoven
zum Schlafen. Der Alkoven ist ein viereckiges Strohlager in der Wand, nicht mehr als eine Kiste, an der die Mäuse
nagen.
Aber es ist gut, dass es dieses Heuerhaus hier in Zwischenahn gibt, und man sollte alle
Menschen, die unzufrieden sind, hinführen, damit sie sehen, wie primitiv, wie archaisch, wie biblisch es
angefangen hat mit dem Wohnen.
Auf dem offenen Feuer schmatzt Wäsche in einem riesigen Kessel. Der Rauch krusselt zum Dach
empor, schwärzt die saftigen Ammerländer Schinken, hängt an die Eichenbalken glitzernde Tropfen von Teer und zieht
durch das „Ulenlok" ins Freie. Alle Möbel und Geräte in diesem dunklen Haus riechen nach Herdrauch. Es ist ein
angenehmer Geruch, der auf eine merkwürdige Weise Geborgenheit vortäuscht. Hier schlief der Mensch mit seinen
Tieren in einem Raum, unter einem Dach und über das nie verglimmende Feuer wurde nachts ein gusseiserner Käfig
gestülpt, damit die Katze sich nicht in die Glut rollen konnte. Schwere Truhe und ungefüger Schrank, klobiger Tisch
und unbequemer Stuhl, zerlesene Bibel und zersprungener Topf.
Durch die flaschengrünen Butzenscheiben der kleinen Fenster fließt das Licht wie durch
Meerwasser gefiltert. Der Fußboden ist hartgestampfter Lehm. Um die
Feuerstelle mit ihren Rüschenstühlen bildet weißer Sand einen schmückenden Kreis.
Abwehr gegen Hexen? Schutz vor Kobolden? Angst vor der Pest? Furcht vor Lands
knechten? Zauberlinien aus weißem Sand, ein rührendes Ornament.
An der Wand hängt eine Keule aus Holz, die wie ein Igel mit Nägeln bestückt ist. Ob
je ein Mensch damit getötet wurde? Das Schaudern packt einen in diesem Haus für
Heuerlinge. Es friert einen trotz des Feuers. Eis hungert einen trotz der Schinken an
der Decke.
Damals fielen keine Bomben. Aber in den Nächten kam der Feind. Hufegedröhn und Eisengeklirr.
Der Feind stahl die Schinken, schlachtete die Kuh, zündete das Haus an. Dann floh der Bauer mit den Heuerlingen in
den „Bargfred", das war eine kleine Burg auf Pfählen, ein Immenkorb für Menschen, mitten im Moor. Der Steg würde
eingezogen, und dann hockten sie da wie gelähmt. Durch ein Guckloch in der Tür sahen sie die Höfe ringsum brennen
...
Gebrannt hat es auch im letzten Krieg. Es brennt immer. Nichts macht die Vergänglichkeit so
deutlich wie eine Bauernchronik. Aber der Herdrauch beizt nicht allein den Schinken und das Eichenholz, er beizt
auch das Menschenfleisch. Ausgestorben sind sie nicht, die Bauern und Heuerlinge des Ammerlandes.
Jetzt, am Sonnabend Nachmittag sitzen sie im Garten des „Spiekers", der eine Gaststätte ist,
unter Apfelbaumund Rhododendronblüte, und schlecken Smuttaal und essen schwarzes Brot mit Schinken, und der
Kellner gießt ihnen am Tisch den Korn in kreisrunde Zinnlöffel.
Es sind derbe Gestalten, Bauern in Feuerwehruniform, die unterwegs sind zu einem Fest, das in
irgendeinem Dorf am Meer gefeiert wird. Bevor sie dort ankommen, wollen sie „in Stimmung" sein. Der Kellner trägt
blaue Kniehosen, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Er sagt, dass die Zinnlöffel fünf Mark kosten. Sie werden
heute noch in Zwischenahn gegossen.
Auf dem Meer pflügen sich weiße Dampferchen durchs moorige Wasser. Spitze Segel stehen gegen den
blauen Sommerhimmel. Der Wind hat Feierabend. Die jungen Leute in den Booten tragen Farmerhosen in Rot und Blau,
wie überall, sie kauen Gummi und haben Jazz an Bord. In den Parkanlagen berieselt Operettenmusik die Kurgäste, und
in einem baumgroßen Fliegenpilz sitzt eine Frau und handelt mit Andenken.
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