Alkenulle
Alkenulle war von Beruf Fischer, oder Bootsführer, wenn man es genau wissen will. Er war
seinerzeit mit Jan Fügel und den anderen zur See gefahren, mit dem Mosesgeschirr, wie sie damals sagten. Es war
ein plumper alter Kahn, mit allen Gebrechen behaftet. Wenn die See einmal stürmisch war und unter dem Mond die
Schaumspitzen der Wellen schneeweiß angeritten kamen, mussten gleich zwei Mann eine altmodische Handpumpe
bedienen, um den Kahn trocken zu halten. Das Wasser schlürfte, schluchzte und gurgelte in die Pumpe, sprang
widerwillig über Bord. Es war eine verrückte Sache, mit solch einem Boot da draußen zu sein und noch viel
schlimmer war es, wenn der Motor plötzlich erstaunt aufhörte zu klopfen und die paar Männer ans Ruder mussten.
Nachher stellte es sich dann heraus, dass ein Haar ins Benzin geraten war, eine Schuppe vom Fisch oder sonst
etwas Erbärmliches. Alkenulle verstand seine Sache, er war der Einzige im Dorf, der mit der Nase immer zwei
Meter voraus war. „Es kommt vielleicht mal anders“, sagte er, wenn er abends mit Jan Fügel ins Boot stieg und
ihnen der Wind ungemütlich in den Atem sprang. „So'n Schiet“, fluchte er.
Bald heuerte er dann auf einem großen Motorschiff an, das nach Russland fuhr und Holz aus den sibirischen Wäldern
nach Deutschland holte. Es war ein gefährliches Schiff, ein grauer, dickbauchiger Kasten, schon seetüchtig und mit
wer weiß wie vielen Pferdekräften starkgemacht. Wenn er auf der Kommandobrücke stand und von oben auf die
gründunkelnde See hinabsah, war Alkenulle noch nie so hoch über dem Wasser gewesen. Er hatte das Gefühl, als sei
das Schiff viel zu hoch, als stände nichts im Wasser als diese schaukelnde, kreiselnde Brücke und beim nächsten
Seegang würde sie umkippen wie ein angesägter Baum. Das kam, weil er bisher immer mit den Händen ins Wasser hatte
greifen können, wenn er auf See war.
Früher hatte er sich mit den Knien gegen die Bordwand gestemmt und die grünen, tangverfilzten Netze mit den Fischen
darin an Bord gezogen. Jetzt war er nur Maschinenöler, Arbeiter, einer, der regelmäß0ig seine Heuer und sein Essen
bekam. So nebenher, wenn das Schiff in Fahrt war und die Motoren das Deck erzittern ließen, musste er viel andere
Arbeit verrichten. Rost picken, Schrubben, Geschirr waschen, Messing putzen und so weiter.
„Sine Deo“, hieß das Schiff. Der Name war das Gefährliche daran. Die Boote, auf denen er früher
gefahren war, hießen „Ecke vier“ und „Ecke achtzehn“. An Segelbooten kannte er „Liebchen“ und „Neptun“. Er hatte
aber vor nichts Angst, er fühlte sich stark genug und wenn er in der Hafenkneipe ans Sprechen kam, dann konnte
er Geschichten erzählen, dass die Schiffsmodelle an der schwarzverräuchterten Stubendecke zu segeln
anfingen...
An Bord war er ein fleißiger treuer Bursche, der es mit der Zeit zu etwas brachte. Er wurde zum
Steuermann befördert und wenn nun beim Löschen knarrend die Winde ging und die ungeheuren Stapel von
geschnittenem Holz tzagelang über seinen Kopf dahinschwebten und im Bauch den „Sine Deo“ verschwanden wie
nichts, als sei der ganze sibirische Waldbestand nicht der Rede wert, dann qualmte Alkenulle seine Pipe und
bohrte die hornigen Fäuste tief in die Taschen. „Hallau“ , rief er, „man nicht so bannig fix da unten“. Die
Arbeiter lachten zurück... „hallau“. Der Steuermann war ein prächtiger Junge.
Später wurde er dick, stiernackig, speckbäuchig und er hatte mit dem Herzen zu tun. In dieser Zeit hingen sie ihm
auch den Namen an. Alkenulle. Die Leute fanden den Namen nett, er passte zu dem schweren gutmütigen Mann, der sich
mit Gefährlichkeiten aller Art nicht genug tun konnte. Er prahlte immer noch gern mit Sibirien, wo in den Häfen die
Aufseher ihre Gefangenen mit der Faust erschlagen hätten. Natürlich hatte Alkenulle mit mehr als einem von ihnen
abgerechnet. Einen Mann einfach erschlagen, was? Zeitweise hatte der Steuermann sich in keinem russischen Hafen
sehen lassen dürfen, das Heer der russischen Spitzen und Polizeibeamten war allein auf ihn, Alkenulle,
abgerichtet.
Dann lief eines Tages das Schiff ohne ihn aus dem Hafen. Alkenulle saß in einer Kneipe und tat, als läge ihm nichts
daran. „Lass man“, sagte er. In Wirklichkeit musste er an sich halten, dass ihm nicht die Tränen ins Auge stiegen.
Sein Herz vertrug den harten Dienst nicht mehr. Er wollte jetzt hier ansässig werden und ein Geschäft anfangen. Er
wusste noch nicht recht, wohin mit seinem Unternehmungsgeist. „Was sollen mich da oben die Russen kriegen“, sagte
er aber.
Alkenulle war ein Mann von Format. Er fing jetzt gleich etwas Gründliches an. Und zwar mietete er ein altes
backsteinrotes, strohgedecktes Bauernhaus, das da am Strande lag und machte eine Kneipe auf. Allerdings wurde es
mit der Zeit erst eine Kneipe, denn im Anfange, als die Konzession noch fehlte, verkaufte er lammfromm belegte
Brötchen, Milch und Himbeerlimonade. Aber unter dem Tisch ging die Schnapsbuddel von Mann zu Mann. Hier, wo alles
wie daheim war und kein Mensch wie eine Bohnenstange am Tisch zu sitzen brauchte vor lauter Vornehmheit, wohnten
die richtigen Kerle am liebsten. Alkenulle hatte da so allerlei gesammelt, was man sonst in den Häusern nicht
kannte. Malahendolche, Straußeneier, Bastschützen, ausgetrocknete Krokodile, Teufelsfratzen, Seeräuberflinten und
Kupferstiche von Segelschiffen, Windstärke dreizehn. Das gefiel den Männern. Es weckte ihre Lust am Abenteuer. Hier
konnten sie bis in den Morgen hinein sitzen und Karten spielen. Tagsüber, wenn die meisten Fischer auf See waren,
kamen dann die Fremden in seine Bude und ließen sich Splitter von Galionsfiguren zeigen, Kanonenkugeln aus
berühmten Seeschlachten, die vielleicht Haifische verschluckt und ausgespien hatten... Von den alten Wikingern
angefangen bis zur neuzeitlichen Tiefseetaucherkugel, über alle Stufen der Geschichte der Seefahrt ächzte und
schlitterte Alkenulle hinauf und hinab. Er log entsetzlich.
Berühmt war er ja nicht gerade. Aber es gab doch nicht viele Leute, die nicht an seinem Tisch gesessen und über die
Späße des dicken Steuermannes gelacht hätten. Zudem war das Haus in der Art, wie Alkenulle es eingerichtet hatte,
wirklich so altväterlich und mit den Geheimnissen aller Meere und entdeckten Erdteile vollgestopft, dass kein Gast
sich diesem seltsamen Zauber verschließen konnte.
Alkenulle war ein einfacher Mensch. Einer, der es verstand, einfach zu sein. Als er alt war und spürte, dass es nun
nicht mehr lange dauern würde, wartete er auf das Schiff, mit dem er einst in die sibirischen Wälder hinaufgefahren
war. Er sprach mit dem Kapitän und durfte an Bord kommen. Die „Sine Deo“ machte ihre letzte Fahrt, sie wäre
unrentabel geworden, hatte der Reeder geschrieben, sie sollte verschrottet werden. Die Linie würde ein neues ,
schnelleres Schiff einsetzen.
Alkenulle hatte nicht viel mitgebracht an Bord, ein paar Kleinigkeiten, Zahnbürste, Kamm, Seife, etwas Tabak,
weiter nichts. Aber er hatte eine dicke blaue Strickjacke angezogen, weil man sich im Frühjahr leicht erklärten und
dann die Fischlein von unten besehen kann, wie er sagte. Er stand mit dem Kapitän auf der Kommandobrücke und
scherzte. Er hatte dabei dasselbe Gefühl wie früher. Die Brücke stand allein da, schwankte, kreiste nach einem
geheimnisvollen Gesetz, ohne Gewicht und Schwerpunkt. Schlug hin und her, wie ein Zeiger. Er spürte es nicht ungern
jetzt, es war alles so leicht hier oben...
Unterwegs haben sie dann sein Herz über Bord geworfen, nach Seemannsbrauch.
Aus: Die Auslese des Feuilletondienstes „Welt und Leben“
Dreiklang Skizzen – Humoresken – Gedichte
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