Eine Flasche Wein Öffnen

In den Morgenstunden grauer Nebel, der sich gegen Mittag auflöst, und am Abend das gelbe Licht der Bogenlampen im Park. Wind flirrt in den Kronen der Birken. Der Rundfunk hat Sturm angesagt. Die Zeitung berichtet über Schiffe, die in Seenot geraten sind. Aus Rumä­nien werden Wölfe gemeldet.

Ein Schaufenster voller Äpfel, Birnen, Walnüsse und Weintrau­ben. Das Gesicht einer Frau, die vorbeieilt und ihren Kopf in ein rotes Tuch gehüllt hat. Eine Gast­stätte bietet Glühwein und Grog an. Rum aus Jamaika, das klingt nach Ferne und Abenteuer.

In einer Buchhandlung liest ein Schriftsteller aus eigenen Werken. Das eigene Werk heißt "Traktat über die Unlust im Winter“.

Neonröhren zaubern seltsame Mitteilungen auf den Asphalt, Regen sickert tonlos in verwelkte Rabatten. Hinter den Türen einer Behörde krusten Ta­bakrauch und der Geruch von Akten und Männerjacken. Pläne, die niemand beantwortet. Schreie, die keinen Hund erreichen.

Blättern in Zeitschriften. Berliner Illustrierte. Gartenlaube. Wegweiser. Gestalten aus vergangenen Jahr­hunderten ziehen vorbei. Ein Feld­herr mit Löckchenperücke und Spitzenkragen, der eine Stadt bela­gert. Die Krieger sind mit Hellebarden und Pechfackeln bewaffnet. Ein Revolutionär, der auf die Plattform einer Guillotine gezerrt wird. Ein Gebetbuch auf­schlagen. Miserere nobis. Erbarme dich unser. In einem silbernen Medail­lon ein Frauenbildnis von betören­der Schönheit.

Kaminwärme staut sich wohlig im Zimmer. Es duftet nach Bu­chenholz und nach  dem Harz von Tannenzapfen. Das heiße Wachs einer Kerze tropft auf den Hand­rücken.

Blick durchs Fenster auf eine Stadt mit ihren zuckenden Lichtsi­gnalen und Leuchtreklamen. Erin­nerung an eine Petroleumlampe, die unter dem Planwagen hängt.

Im Treppenhaus hat sich der Duft von Borsdorfer Reinetten eingenistet. Wissen, dass der Keller Eingemachtes hortet, Stachelbeeren, Kirschen und Pflaumen.
Mitten in der Nacht fangen die Möbel an zu knarzen, und ein Käuzchen schreit im Garten.

Früher haben die Menschen den Kauz gefürchtet, weil er ihnen den Tod ankündigte.
 
Mit dem Glas den Rätseln einer vergilbten Seekarte nachspüren, die in einem Trödelladen gefunden. wurde. Auf einem Segelschiff die Weltmeere befahren. Die Worte Guadeloupe, Samarkand und Lu­xor aussprechen. Die Tagebücher der großen Entdecker lesen. Mar­co Polo, Kolumbus, Amundsen. Die Tibetaner begegnen einander mit dem Gruß "Om mani padme hum", und was heißt das?

Eine Orange schälen und den Duft einatmen. Aus Kochbüchern ein Menü zusammenstellen ‑ für einen Abend mit Freunden. Tafel­spitz oder Paprikahuhn  oder Wild­schweinrücken in Aspik. Eine Flasche Wein öffnen.

Aus dem Urlaub in Schweden hat ein Nachbar einen Gruß geschickt. An den Straßen in Schweden stehen Schilder, die vor Elchen warnen.

Auf dem Lande versammeln sich die Krähen. Sie sind die Beherrscher der winterlichen Ein­öde, die bevorsteht. In der Stadt erschrecken sie Kinder, die auf  dem Balkon stehen und hinauf­blicken in den Himmel, der sich anschickt, einen Sonnenuntergang zu veranstalten. "Krah‑krah‑krah" krächzen sie den Kindern ins Ohr. Es klingt spöttisch, ja, das tut es.

1953