Wie bekam der Fuchs die Sardinendose auf?
Wir wissen, dass der Mensch bisweilen in geradezu blödsinniger Unkenntnis der Ursache seines
Verlangens von wilder Gier nach einer bestimmten Speise erfasst wird. Es handelt sich dabei meist um gewöhnliche
Nahrungsmittel wie Sauerkraut, Gurke, Hering, Speck, Malzbier und Haferflocken.
Das Bedürfnis nach Speise, die aus Hafer besteht, ist auf der Welt so verbreitet, dass über dieses Thema sogar
Doktorarbeiten geschrieben werden. Die Briten zum Beispiel ernähren sich in der Hauptsache von Haferbrei. Erwähnen
müssen wir freilich auch, dass die Briten den Whisky erfunden haben, der auch nicht zu verachten ist.
Ich selbst habe auf diesem Gebiet eine Erfahrung gemacht, die sehr merkwürdig ist. Als ich zehn Jahre alt war,
brachte mich eine leidenschaftliche Sucht nach Ölsardinen in Schwierigkeiten. Sardinen waren, den Verhältnissen
meines Elternhauses angemessen, reine Verschwendung. Hindenburg konnte sich Ölsardinen leisten, aber doch nicht
wir. Was bei uns auf den Tisch kam, stammte aus dem eigenen Garten und aus der eigenen Kleintierhaltung.
Meine Mutter fütterte Kaninchen und Hühner, und vorübergehend hielten wir sogar eine Ziege, die sich jedoch mit der
Kette, die sie um den Hals trug, strangulierte. Uns fehlte die Erfahrung im Umgang mit Ziegen. Als mein Vater
plante, ein Schwein einzustellen, sagte Frau Schatz, eine Freundin meiner Mutter: „Um des Himmels willen, doch bloß
kein Schwein! Es wird elend zugrunde gehen, statt fett zu werden. Zur Schweinehaltung muss man geboren sein." Und
die Wahrheit war die, dass wir zur Schweinehaltung nicht geboren waren.
Ich bildete mir ein, dass es Sünde sei, sich dem Genuss von Ölsardinen hinzugeben, wie im Allgemeinen ja alles, was
Genuss bereitete, untersagt war. Ich hatte von Meiers Edeltraut, die in einem Kolonialwarenladen als Verkäuferin
tätig war, für einen kleinen Handel mit Heiligenbildchen eine Dose Ölsardinen geschenkt bekommen. Ölsardinen, sagte
ich mir, ist Völlerei, die man beichten muss.
Ich versteckte die Dose in einer Dachrinne der Scheune und hütete mich tagelang, sie anzuschauen.
Endlich entschloss ich mich, die Dose aus der Dachrinne herauszunehmen, wo sie angefangen hatte, zu rosten. Ich
lief in den Wald und kletterte auf eine Eiche, in deren Geäst ich mich sicher fühlte. Hier oben würde niemand einen
Knaben vermuten, der im Begriff war, sich der Völlerei hinzugeben. Ich wickelte mit dem Öffner das Blech auf und
fing vorsichtig an, mit den Fingern die Sardinen herauszunehmen und zu kosten.
Von dieser Stunde an war ich besessen von dem Drang, an Ölsardinen zu kommen. In den kommenden Wochen setzte ich
Kleingeld, das mir von den Eltern und von Nachbarn für Gelegenheitsarbeiten zugesteckt wurde, in die geliebte
Fischkonserve um. Ich ging sogar so weit, Meiers Edeltraut zum Diebstahl anzuregen. Edeltraut
hegte, im Gegensatz zu mir, eine Abneigung gegen Fisch und ganz besonders gegen Ölsardinen. Edeltraut lebte in der
Hauptsache von gestohlener Schokolade, und die gestohlene Schokolade hatte zur Folge, dass sie dick und schläfrig
wurde. In meinem Heimatdorf hat sich nie wieder ein Mensch so über die Maßen gewundert wie jener Jagdaufseher, der
unter einer Eiche in seinem Revier an die hundert leere Ölsardinendosen fand, die teils verrostet und teils frisch
geöffnet waren. Vor welchen Biertresen dieser Mann auch stehen mochte, um einen Klaren zu kippen, er redete immer
nur von dieser Eiche in seinem Revier, unter der er eine Unmenge von Ölsardinendosen gefunden hätte. Er konnte und
konnte es nicht fassen.
„Es ist schon vorgekommen, dass sich Füchse in menschliche Behausungen eingeschlichen und Nahrungsmittel
verschleppt haben“ sagte er, „aber wie zum Teufel kriegen sie Blechdosen auf?“
Diesem Mann habe ich mit meiner Gier nach Ölsardinen und der ungewöhnlichen Art, sie zu verzehren, Schaden
zugefügt, denn in den Jahren darauf, als ich von meiner Leidenschaft längst geheilt war und das Wort Ölsardine
nicht mehr hören konnte, sprach der Jagdaufseher immer noch von einem Fuchs, den er gekannt hatte Und der mit einem
Dosenöffner umgehen konnte, und die Leute vor dem Tresen, denen er seine Geschichte erzählte, hielten ihn nicht für
ganz richtig im Kopf.
Heute weiß ich, dass das Verlangen nach bestimmter Speise einem Mangel an Stoffen entspringt, die eben diese
Nahrung enthält. Mein Hausarzt hat es mir erklärt, und seitdem lebe ich ruhiger. „Im Fisch ist Phosphor enthalten",
sagte der Hausarzt, „und Phosphor braucht das Gehirn. Sie mussten damals etwas für ihren Verstand tun.
Stimmt's?"
Der Mangel ist behoben, dem Phosphor sei Dank, und in der Tat halte ich mich zurzeit nicht für den Typ, der auf
Ölsardinen scharf ist. Dass ich mit Ölsardinendosen auf eine Eiche gestiegen bin, um sie dort zu öffnen, war
selbstverständlich verrückt. Ich gebe es zu, aber vielleicht war es auch, da ja die meisten Freuden Allgemeingut
und leicht zu haben sind, das Vergnügen daran, etwas für mich allein zu besitzen, und da sind Ölsardinen nicht das
Schlimmste, womit man den Anspruch auf Lebensqualität übertreiben kann.
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