Eine Korbflasche voll Wein
In einer Gesellschaft von Herren, die Skat miteinander gespielt hatten
und nun vor einem Glas Wein saßen, kam das Gespräch auf die Söhne. Die Herren waren sich einig in der
Feststellung, dass es heutzutage schwierig sei, Söhne zu erziehen.
»Die Autorität der Väter ist gebrochen«, sagte der Studienrat, »der
Respekt ist dahin, und die Schule tut sich schwer, sich gegen den negativen Einfluss der Umwelt
durchzusetzen. Keine Spur von Dankbarkeit oder gar Ehrfurcht ist zu entdecken. Haben wir versagt? Als ich ein
Knabe war, wagte ich nicht, meinen Vater unaufgefordert anzusprechen. Ich durfte nur reden, wenn ich gefragt
wurde, und ich wurde meistens nicht gefragt.«
»Was aus dieser Erziehung geworden ist«, bestätigte der Regierungsrat,
»das wissen wir nur allzu gut. Es war der Kadavergehorsam.«
»Sie sprachen soeben von Dankbarkeit und Ehrfurcht«, sagte der
Hausherr und blickte rundum seine Gäste an, als hätte er etwas ganz Besonderes mitzuteilen, »erlauben sie
mir, dass ich Ihnen die Geschichte eines Sohnes erzähle, der seinem Vater sowohl Dankbarkeit als auch
Ehrfurcht erwiesen hat. Dieser Sohn hat seinem Vater aus Griechenland eine Dreiliterflasche Rotwein
mitgebracht, wie man ja den Angehörigen von einer Reise gern ein Geschenk mitbringt. Ein guter Brauch, nicht
wahr?« Die Herren nickten.
»Der Junge ist Student der Geographie im vierten Semester. Da schaut
er sich die Welt an. Im vergangenen Sommer besuchte er die ägäischen Inseln und erlebte geradezu homerische
Abenteuer . . . Aber ich will mich kurzfassen. Der Abt eines Klosters auf Kreta schenkte dem Jungen eine
Korbflasche voll des Weines, den man an der Abendtafel der Mönche getrunken hatte. Der Junge bedankte sich
und beschloss auf der Stelle, diese Flasche dem Vater mitzubringen. Der Vater sollte teilhaben an dem
Erlebnis des Sohnes, und ein Erlebnis ist es ja.
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