Die Stunde der Söhne

Die Erzählung "Die Stunde der Söhnein Frakturschrift lesen

Damals schon, als der Rauschhofbauer den Pflug durch die tauende Erde lenkte und die kleinen weißen, wattebauschigen Wölkchen am Himmel segeln sah, vermeinte er einen feinen Brandgeruch zu spüren. Aber zu dem einsamen Bauernhof war des Sommers nur die Kunde eines schrecklichen großen Krieges gedrungen. An den warmen Abenden, da sie unter den Obstbäumen sitzen mussten, um die Blättergesäusel und die flimmernden Sterne reizend zu finden, hieß es, dass man den Widerschein brennender Scheunen und Wohnungen sehen könnte. Aber das bisschen Rot kam wohl vom Monde? Sie wussten nicht, was es war.
Dann kam die Botschaft, schwedische Landsknechte seien in die Stadt am Rhein eingezogen, sie brenne an allen Ecken. Doch konnte aus dem Dorf niemand Genaueres berichten. Eine seltsame Gereiztheit war in den Menschen. Woher der Brandgeruch kam, wusste das einer? Sie wussten auch nicht, dass er nun durch dreißig Jahre hin in ihren Nasen sein würde, nein, sie lebten noch in gutem Frieden. Des Mittags stieg aus den Kaminen der fette Rauch wie ein nie aussetzendes Vorspiel der Sättigung und ihre puppenstubenartigen Häuschen mit dem Starenkasten als einem lieben Wahrzeichnenim Giebel waren in dem Grün der Apfelbäume ihre festen Burgen.
Als es dann durchdrang, dass fremdsprachige Söldner in einem Gemeindedorf mit dem Schulzen so ihren Spaß getrieben hätten, dass er des andern Tages tot gewesen sie, da wussten sie, dass es der Feind war.
Noch zu nachtschlafender Zeit hatte ein Wanderer an die Kammer des Reuschhofbauern geklopft und ihm die Geschichte von dem Dorfschulzen erzählt. Sie hätten ihm die bloßen Sohlen mit Salzwasser getränkt und Geißen daran lecken lassen. Da habe er sich totlachen müssen. Zudem hätten sie ihm den Schwedentrunk gegeben, da sei... und der Fremde habe das Kreuzzeichen dazu gemacht und war über die Wiese davongelaufen, als habe er Angst, verfolgt zu werden.
Der sei wohl irr gewesen, sagte der Bauer, aber er konnte das Zittern der Stimme nicht ganz verbergen. Die Söhne standen schweigend an den Ackergeräten, als ihnen der Vater die Kunde der Nacht brachte. Mühsam verhaltener Zorn zuckte in ihren Fäusten. Sie sahen dem Atem fest ins Auge. Da war es in ihnen wie ein großes Erinnern an den Mann, der ihnen diesen Blick gab und die muskelstarke Art ihres Willens. Sie würden dem Feinde trotzen. Ohne es aussprechen zu können, wussten sie, dass sie den Feind überdauern würden.
Seit dieser Stunde teilte der Hof die Unruhe des Dorfes. Man musste, wenn man zu Tische schritt, gewärtig sein, den Feind daran sitzen zu sehen. Schon sahen sie in der Ferne schnelle Schatten huschen, die nicht von Bauersleuten sein konnten. Manchmal auch hörten sie in der Nacht den Anschlag des Hundes. Das Klirren der Ketten in den Viehställen drang als eine grausame Musik zu ihren Schlafkammern. Dann saßen sie wohl auf dem Bettrand, den Kopf in die Hände gestützt und konnten nicht zum Schlaf kommen. Oder sie lugten aus dem Fenster auf die Äcker da draußen, die ihnen heuer statt des Brotes voller Grauen schienen und statt des Wachtelschlages belebt von einem drohend kriegerischen Stahlgerassel. Aber es war nichts. Auch der Hund beruhigte sich. Nur das hämmernde Ticktack des Uhrwerks auf der Diele erfüllte das Haus mit spukhaftem Geklopft, riß Stunde um Stunde los von der Zeit, die über sie hinwegging wie ein Meer, das immer heftiger brandet und immer schlimmere Ahnungen der Not an ihre Herzen spülte.
Ja, die Frauen wurden von Tag zu Tag banger und die Männer bereiter, dem Feind an die Gurgel zu kommen. Das wurde auch nicht anders, als der jüngste der Söhne, dessen Augen am schärfsten brannten, dass Uhrwerk auf der Diele, das man mit so großem Stolz von einem blinden Meister erworben hatte, mit seinen Fäusten in Trümmer warf, als könne er damit das Rad der Zeit zum Stillstand zwingen. Wie das letzthin geschehen sollte, ob dann der Feind mit einem Male sichtbar würde zum Kampf oder der Frieden einzöge ins Land, das dünkte ihm gleich; wenn er nur das sägende Geknirsch nicht zu hören brauchte, wenn er wachlag.
Es wurde nicht besser und nicht schlimmer danach. Das Zeitenrad schwang weiter und er begann die Sterne zu zählen. Die ließen sich nicht aus der Ruhe bringen. Und immer wieder musste so ein dicker Stern sein Auge auftun, um alles so zu lassen, wie es war. Sie hätten gar nicht da zu sein brauchen. Und doch wahren ihrer so viele am Himmel, dass man sie, eingefangen in den Rahmen eines Fensterchens, kaum zählen konnte, hundertdreizehn, hundertvierzehn, hundert... da, Pferdegetrappel auf dem Hofe. Geklirr von Eisen. Wie ein Spuk um das Haus herum, zwischen den Bäumen, an den Ställen. Wasser plätscherte am Brunnen. Dann ein Schrei in der Luft wie Peitschenknall. Die Fetzen einer boshaften Lache. Der Hund sprang in der Küche die Fenster an. Als sie aber in der hellen Nacht auf dem Hof standen mit ihren Äxten und Flegeln, da hörten sie nur noch in der Ferne ein Geräusch, wie es Bauernpferde haben, wenn sie über harte Straßen dahinrasen.
Da überfiel sie die Ahnung kommender Not und es war ihnen, als ritte da der Tod lachend von dannen, um gleich wiederzukehren, damit er das böse Spiel von neuem beginne und den Streich führe, der ihnen den Atem kosten solle. Aber noch fühlten sie diesen Atem in sich wie die göttliche Gnade, die er war. Sie stießen ihn in den Tag und sagen ihn so gewaltig ein, wie es große Katzen tun, wenn sie sich zum Sprunge ducken.
Jetzt, da das Unsichtbare, das Vernichtende ihrer Tage so greifbar vor ihnen lag, quollen sie über von dem Mut, zu töten, dem Willen, zu vergelten. Man kann einen Mann wohl stellen, wenn man ihn vor Augen hat, aber nicht, wenn er wie etwas mit den Sinnen kaum Faßbares in der Luft ist, in den Schatten, im Treppendunkel am Mittag und im Stroh der Scheune, in allem, was um einen ist. Doch der Feind blieb aus, er stellte sich nicht und der Alp ihrer schlaflosen Nächte, in denen sie sich hilflos dünkten und ohne Macht wie Kinder, fraß weiter an ihrem Leben. Sie wurden unglücklich davon. Sie sprachen kaum mehr miteinander, waren wie Holzklötze, denen die Aufgabe gestellt ist, zu mähen, zu dreschen, zu kauen und die Stiefel auszuziehen. Es war etwas zwischen ihnen, über das man nicht reden konnte, das aber wuchs wie

Westdeutscher Beobachter

 

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