,,Achtung – Aufnahme! Bitte größte Ruhe!”

Filmtage auf Schloß Vinsebeck

Hans Albers spielt den tollen Baron Giesbert von Bomberg

Von unserem Redakteur Bernhard Schulz

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Eine Berliner Filmgesellschaft (ARCA) hat beschlossen, die Streiche des berühmten Baron (Jiesbert von Romberg, im Film „Bomberg" genannt, auf die Leinwand zu bringen. Der Dichter Josef Winckler, der aus Rheine stammt, hat ein Buch über den münsterschen Baron geschrieben, und dieses Buch hat die Leute vom Film jetzt zum zweiten Male auf den Trab gebracht.
Der tolle Baron war ein außergewöhnlich gescheiter Mann mit dem unüberwindlichen Hang, seine Zeitgenossen und vor allem seine hochnäsige Verwandtschaft zu ärgern. Wir wissen nicht, ob sich der Baron auch niit Steuererklärungen und mit dem Ausfüllen von Fragebogen beschäftigt hat. Wir wissen aber, daß er, um nur einen Streich zu nennen, Flöhe gesammelt und sie den alten vornehmen Damen des münsterschen Adels in die Ballroben praktiziert hat, was diese sehr zu Recht in Aufruhr versetzte.
Hätte der Baron zeitlebens Steuererklärungen abgefaßt, wie wir es heute tun, dann wäre er uns gleichgültig. Er hat jedoch Streiche ausgeführt, die so genial waren, daß sie sich heute noch bezahlt machen. Er und der Zoologieprofessor Dr. Landois waren echte Westfalen und einfallsreiche Narren, die einen Farbfilm wert sind.
Gelebt hat der tolle Baron auf Schloß Buldern bei Münster. Die heutigen Eigentümer des Schlosses sperrten sich gegen den Film. Da war nichts zu drehen. Der Produzent und sein Regisseur begannen, die westfälischen Wasserburgen nach optischen Möglichkeiten abzugrasen. Es war nicht leicht, einen Schloßherrn zu finden, der sich mit einer, gelinde gesagt, filmischen Schmähung des Adels einverstanden erklären würde.
Auf diesen Herrn, der mit dem münsterschen Baron sogar verwandt ist, stießen die Filmleute in Vinsebeck. Er heißt Wolfgang Graf Wolff Metternich. Vinsebeck liegt im Weserbergland im Kreis Höxter. Ein zauberhaft schönes und konservativ gehaltenes Wasserloch aus dem 17. Jahrhundert mit Wiesen ringsum, auf denen sich Gänse, Enten und Puter tummeln. Eichen und Rotbuchen spiegeln sich in den schilfigen Wassergraben, und in der Luft liegt Taubengurren, Hühnergegacker und Springbrunnengeplätscher. Der Graf zog sich mit seiner Familie zurück und überließ dem Film das Terrain.
Heute herrscht der tolle Bomberg im Schloß, und der altmodisch-stille Ort wurde Ausflugsziel für provinzielle Reisegesellschaften und Jgdrevier für Autogrammsammle. Der Film ging hier nicht ins Studio, sondern ins Schloß. In ein echtes Schloß mit Jagdtrophäen an den Wänden, Türkensäbeln, Reiterpistolen, Steinschloßflinten, Hellebarden, Gobelins, Kupferstichen und Ahnenporträts.
Die Eskapaden des tollen Barons wiederholen sich vor der Kamera. Auf dem Schloßhof drängelt sich ein buntes Völkchen; denn der Film bringt seine eigene Sphäre mit. Jemand, der beim Film arbeitet, unterscheidet sich von den anderen tätigen Menschen durch die Art der Kleidung und einen unverkennbaren Berufsstolz in Haltung, Gang und Stimme. Jedem ist sofort klar, daß sich hier eine Weltmacht regt und schöpferisch ausläßt. Der Ortsgendarrn schützt das keimende Werk vor dem Ansturm neugieriger Besucher.
In einem Fahrzeug mitten auf dem Schloßhof, der mit armdicken Kabeln geädert ist und von Gerüsten und Aggregaten nur so strotzt, ist eine Art Befehlszentrum etabliert. Von hier aus dringt eine Kommandostimme bis in die hinterste Küche von Vinsebeck: „Achtung, Aufnahme! Bitte größte Ruhe!"
Dies ist nun der geheimnisvolle Moment der Bildentstehung, der schauspielerischen Genieanwandlung, des Filmwerdens. Die Bauern verhalten den Schritt, die Kühe hören auf zu kauen und der Ortsgendarm steht stramm. Nicht einmal die Backfische, die sonst doch alles lächerlich finden, wagen zu kichern. Nur die Tauben gurren, und ein Düsenjäger lärmt tatenfroh in Schornsteinhöhe über das Schloß. Aber das macht nichts; Düsenjäger gehören zum täglichen Ärger der filmschaffenden Industrie.
Wieder tönt das Kommando: „Achtung, Aufnahme! Bitte größte Ruhe!" Wieder stehen die Kühe stramm, und der Ortsgendarm hält den Atem an. Und wieder wird gefilmt. Im Schloßkeller keucht der tolle Bomberg eine steile Treppe empor. Er hat sich selbst, zu nachtschlafender Zeit, eine Flasche Riesling geholt, um sie mit seinem Freund Landois zu leeren. Vielleicht ist an dieser Szene bemerkenswert, daß er ja auch den Diener hätte wekken können. Der Baron fiel eben immer aus der Rolle...
Die Szene wird ein dutzendmal wiederholt, Kellertreppe rauf, Kellertreppe runter; Weinflasche geschwungen, geknurrt und zurück auf den alten Platz. Das Strammstehen wird inzwischen langweilig und der Düsebjäger tankt frischen Sprit.
Dann haben sie das drin im Kasten, und eine neue Szene wird vorbereitet. Der tolle Baron, es ist Hans Albers, der blonde Filmrecke, der Held zahlreicher Zelluloiddramen und gewaltiger Sonnenuntergangsgeschichten, der Sieger in so vielen Frauenherzen, der Seefahrer, Pilot und treusorgende Familienvater, der Gangsterchef und Witwentröster, er, den wir immer noch nicht entbehren wollen, tritt auf die Freitreppe hinaus und lächelt...
Jeder Zoll ist ein Baron. Ein Baron im grünen Jagdssnzug und mit Hirschgrandeln in der Krawatte. Vielleicht findet er es selbst ein bißchen komisch, wie sie ihm hier Szene um Szene abringen. Aber was will der bundesdeutsche Film machen ohne ihn? Für den Bomberg ist er wie geschaffen. Der Bomberg war auch so ein Schalk und Draufgänger.
Er rettet sich mit einem Glas Wein zur Arbeit zurück, läßt sich von der Drehbuchdame den Text der nächsten Szene vorkauen, und geht in Positur. Jetzt kommt die Szene mit den Damen vom Ballett, die den Sinn seines klerikalen Freundes verwirren sollen. „Herr Graf, er kommt!" flüstert der Diener aufgeregt. Der Baron stürzt zur Treppe und dirigiert die Damen vorbei. Es sind zierliche Geschöpfe, der taufrische Jahrgang einer Berliner Ballettschule, die reinsten Schmetterlinge.
Ja, und auch diese Szene wird ein dutzendmal gedreht. Es ist die Szene „283/3 Abend/Innen." So wird der Film Bild um Bild zusammengesetzt, Satz um Satz, Szene um Szene. Es ist Mosaikarbeit, und es gehört eine Eselsgeduld dazu. In der Schloßhalle ist es eng, aber was sie dort an Jupiterlampen, Blenden und dergleichen in die Nischen und auf Schränke und Truhen postiert haben, stellt ein ganzes technisches Arsenal dar. Trotzdem heißt das Zauberwort auch hier „Improvisieren". Damit machen sie alles. lm Film kann nachher kein Mensch mehr unterscheiden, was echt und was unecht ist. Illusion ist Trumpf.
Die Männer, die solcher Zauberei huldigen, erwecken einen ganz und gar nüchternen Eindruck. Sie kennen den Rummel aus dem ff. Sie filmen wie andere Leute Holz zerkleinern oder Bratpfannen herstellen. Einer, der einen Scheinwerfer bedient, nagt während der Aufnahme seelenruhig einen Knochen ab, indes die die Damen vom Ballett ins Parterre flattern. Weder der Albers noch der Henckels, noch die Marion Michael, die doch das Mädchen Liane aus dem Urwald ist, machen ihm etwas aus. Hauptsache Knochen.
Was der Zuschauer später eine Minute lang dahinflimmern sieht, das beansprucht bei der Herstellung Stunden. Gedreht wird nach einem Fahrplan, der so exakt ausgearbeitet ist, als hätte die Bundesbahn Sachverständige abgestellt. Der Film muß zum Uraufführungstermin (Münster, im August) fertig sein. Dieser systenatische Aufbau ist so idiotensicher, daß man sich fragt, warum am Ende dann doch so viel Schlechtes dabei herausschaut.
Wir wollen den Teufel nicht an die Leinwand malen, toi, toi, toi. Rolf Thiele, der Regie führt, gehört zum besten Nachwuchs der Göttinger Schule. An der Kamera steht Vaclav.Vich. Die Musik schrieb Hans-Martin Majewski. Und der Stoff? Der Stoff ist großartig. Schade, daß der Baron den Film nicht sehen kann. Er hätte sich zur Premiere bestimmt etwas reizvolles Anekdotisches einfallen lassen .

Erschienen am 4.Juni 1957