Der Stall von Bethlehem 1987,
Eine Weihnachtsgeschichte aus dem alten Lindlar 1920
Am Tag vor Heiligabend fing der Küster an, den Stall von Bethlehem aufzubauen. Er war den ganzen
Tag über damit beschäftigt, die Krippe zusammenzusetzen und den Bereich rings um den Stall mit irischem Moos zu
polstern. Alles sollte so aussehen, wie es damals im Heiligen Land gewesen war oder wie der Küster sich das Heilige
Land vorstellte. Hinter der Krippe mussten Fichten stehen, eine Mauer aus Grün, und über der ganzen Herrlichkeit
hing von der Decke herab der Komet mit seinem goldenen Schweif.
Dann schaffte er die Figuren vom Kirchenboden herab, wo sie den Rest des Jahres verbracht hatten, und staubte sie
ab. Spinnen mussten entfernt werden, und hie und da war an den Figuren Farbe abgeblättert. Es gab viel zu tun, zu
putzen, zu malen und hin und her zu rücken, bis sich die Krippe mit Maria und Josef und dem Kindlein in der Wiege
sehen lassen konnte.
Am Heiligen Abend würde die Krippe im Glanz dicker Kerzen erstrahlen, und an allen Nachmittagen im Januar würden
die Mütter mit ihren Kindern kommen und beten. Sie würden das Wunder bestaunen und bestaunen auch die Hirten mit
ihren Lämmern und dem dicken Ochsen, der in Kumpanei mit dem Esel die gesamte Tierwelt ausmachte.
Bevor die große Krippe in der Dorfkirche aufgestellt wurde, durften wir Kinder uns an einer kleinen Krippe im
Schaufenster des Schuhmachermeisters Sebold erfreuen. Der Schuhmachermeister war ein frommer Christ, dem es nicht
genügte, erst am Heiligen Abend das Wunder der Geburt Christi zu erleben. Deshalb stellte er schon am ersten
Sonntag im Advent eine kleine Krippe auf, die sein Großvater, der ebenfalls Schuhmacher gewesen war, aus
Oberammergau mitgebracht hatte.
Hier im Schaufenster, wo gestern noch derbe Stiefel und Filzpantoffeln gezeigt wurden, war jetzt vor üppigem
Fichtengrün das Oberammergauer Krippchen zu sehen, mild beleuchtet von einer roten Laterne.
Vielleicht lag unsere Begeisterung daran, dass wir Kinder nicht genug davon bekommen konnten, uns auf Weihnachten
zu freuen. Wir malten uns immer wieder aus, wie es am Heiligen Abend sein würde. Wir nahmen das Bild in uns auf,
diesen Stall von Bethlehem, der den Anfang eines neuen Zeitalters gesetzt hatte.
Meine Eltern ließen beim Meister Sebold arbeiten. Schuhe wurden damals nach Maß gefertigt. Ein Schuhmacher war in
der Tat ein Schuhmacher. Ohne den Schuhmacher lief nichts. Und vor allem war er ein guter Mensch, der für trockene
Füße sorgte, und darauf kam es an im Winter. Als meine Mutter einmal die Werkstatt des Meisters besuchte, um ein
Paar Schuhe besohlen zu lassen, sagte sie: „Das Krippchen ist reizend. Die Kinder stehen da und träumen von
Weihnachten."
„Das erwarte ich auch", entgegnete der Meister, „die Kinder kommen und bringen mir Heiligenbildchen für das
Christkind."
Er zeigte auf eine Schachtel, die mit bunten Bildchen gefüllt war, auf denen Heilige dargestellt waren. „Haben die
Schuhmacher auch einen Heiligen?" fragte meine Mutter. „O ja", antwortete der Meister, „wir haben den
heiligen Crispinianus." „Das ist aber schön", sagte Mutter.
Sie war verlegen. Es war ihr peinlich, dass sie den Schuhmachermeister Sebold kannte, aber sie kannte nicht den
heiligen Crispinianus, der seine Hand über den Meister und in gewissem Sinn auch über ihre durchlöcherten Sohlen
hielt.
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