Möllmanns krieget Fernsehen

 

Möllmanns krieget Fernsehn  

Lustspiel von Georg Tiemeyer, Uraufführung am 18. Oktober 1963

Zum Inhalt

Als „Möllmanns krieget Fernsehn" am 18. Oktober 1963 uraufgeführt wurde, war Osnabrück eine reiche Stadt. Es gab noch mehrere Zeitungen, Georg Tiemeyer lebte noch, und bei der „Neuen Tagespost", einer Zeitung, die mit ihrem Feuilleton weit über Osnabrück und die Gren­zen der Bundesrepublik Deutschland hin bekannt war, arbeitete Bernhard Schulz, ein spöttischer Zeitgenosse, präziser Redakteur und begnadeter Schriftsteller.
Er kommt gebürtig aus dem Rheinischen, aber er ist Osnabrücker geworden und lebt noch in dieser Stadt. Er gehört zu den erfolgreichsten und meistgelesensten Auto­ren der Gegenwart, auch wenn man das in Osnabrück nicht weiß. 1963 schrieb Bernhard Schulz in der „Neuen Tagespost" eine Kritik, die zu den großen Stücken der kleinen Form gehört. Ein begnadeter Schriftsteller wusste, was er seinen Kollegen in der plattdeutschen Mundart schuldig war.
Ewald vor dem Fernsehschirm" Auf der Bühne Bett, Tisch, Stuhl, Ofen, Kommode, Wand­brett mit Gebetbuch, Heimatkalender, Versandhauskata­log, ausgestopfte Eule und Weckeruhr. Durch die Fenster sieht man den Voxtruper Wald hinter Rahenkamp im Schnee.
Zur Untermiete wohnt, haust, duldet, leidet, schweigt, verschenkt Geld, trinkt keinen Schnaps, pafft keine Zigar­ren, repariert Uhren, Hosenträger, Pfeifkesselchen, alles umsonst, spielt Schach, liest die Heimatzeitung, döst vor sich hin, kennt keine Mädchen, denkt an sieben Jahre Sta­cheldraht in Sibirien, schält Kartoffeln für Hulda, geht nicht zum Cha-Cha-Cha, schweigt immer noch und ist Müerker, der ledige, elternlose, hinter Stacheldraht vertrottelte Ewald Bollermann. Die Darstellerliste zählt ihn als „süermeliggen Kostgänger bei Möllmanns" auf.
Die Möllmanns sind seine Wohltäter und Peiniger. Sie haben den Armen, als er aus Sibirien in den Teutoburger Wald schneite, in ihr Haus aufgenommen. Und dann ha­ben sie ihn, weil ihm Widerstand fremd war, ausgenutzt. Ewald schält die Kartoffeln, bezahlt den Schnaps und den Tabak, spaltet Holz, holt Kohlen, pustet Huldas blaugefro­rene Finger warm, bastelt Hulda die Klemmen aus dem Haar, klaubt dem Alten die Kastanien aus dem ehelichen Feuer.
Und jetzt protzt auf Ewalds Kommode, in Ewalds Stu­be, vor Ewalds Bett, vor Ewalds Stuhl, für den er Miete zahlt, Möllmanns Fernsehkiste. Möllmanns Julius, Möll­manns Hulda, Möllmanns Alwine (gegen die Ewald gar nichts hat), der Honolulu-Onkel namens August und die neidischen Nachbarn hocken Abend für Abend, Programm um Programm in Ewalds Stube, damit in Möllmanns Salon der Haargarnteppich nicht verschleißt. Was weiß Ewald?
Hulda Möllmann spekuliert: Alwine soll im trauten Fernsehdunkel einen Bräutigam und Ewald eine Braut fin­den. Dann wird die Stube wieder frei und mehr als eine Fliege ist erschlagen. Das kupplerische Paar hat für beide eine „gute Partie" im Hinterhalt. Heiraten hilft immer.
Es kommt ganz anders. Ewald verschmäht die weise Soffi und greift zu Möllmanns Alwine. Aber das ist nun eine bittersüße Liebesgeschichte, wie Alwine und Ewald sich finden, eingepackt in den simplen Ablauf einer Allerwelts-familie mit Lärm, Herrschsucht, Streit, Geiz, Luge. Fresserei, Lust, Verrat, Empörung, Gemeinheit, Zorn, Schnapstrinken, Sonntagsnachmittagsstreuselkuchen und Tassen, richt euch! Und alles in Plattdeutsch.
Der mimische Abklatsch des abendlichen, allabendli­chen Fernsehpulks vor dem Flimmerquadrat, Störungen eingeschlossen, dieses Mitgehen, Hindösen, Textmitle­sen, Wachsein, Einschlafen, Nichtbegreifenkönnen, alle Wissbegierde, Stumpfheit, Lüsternheit, Dummheit (oh, die­ses Honolulugequatsche von Onkel August und Soffis klugschnackendes Getue!) sind dem Autor prächtig gelun­gen. Keine Schleichwerbung fürs Fernsehen.
Es bleibt dabei: Wie Ewald, dieser gute Mensch aus Voxtrup und Alwine, die im Liebesschmerz sich krümmen­de Seele, in diesem Duftkessel von Bratkartoffeln, Säuglingswäsche, Schuhen, Fusel und menschlicher Halbbildung sich treffen, Romeo und Julia vor dem Fern­sehschirm, das ist das rührende Ergebnis dieser Komödie in Osnabrücker Platt.
Tiemeyer hat hinzugelernt. Erfolg und Misserfolg des ..Spoarkassenschrecks haben ihn nicht auf die Palme, sondern auf die Eiche getrieben. Ins Akademische über­setzt, konnte man den Stoff zum Knüller herausbacken, aber in Plattdeutsch ist sein ..lustiget Stucke ut de hutigen Tiet heimischer Eigenbau. Es gehört uns Tiemeyer schaut dem Volke aufs Maul, aufs Herz und auf den Le­benswandel. Was da an Weisheit in kleiner Münze heim-und ausgezahlt wird, ist solide Wahrung. Vor allem ist es komisch, und darauf kommt es beim Lustspiel an.