Die trommelnden Hufe
In jenen späten Nächten, da der Regen dick und fast noch warm von der Glut des Sommers auf die
Äcker prasselte und in den Atempausen, die der Wind ließ, das Mondlicht silbern dazwischengleißte, hatten die
Bauern verteufelt auf der Hut sein müssen.
Sie gingen seltsam listige Wege: So ließen sie etwa die lose hängenden Fenster vom Sturm gegen die Hauswände
schmettern, dass der Mörtel weiß in den Regen staubte und den fremden Ohren weithin kund tat, dass dieser Ort hier
von Mensch und Tier verlassen ward. Auch stellten sie die eichene Tür nur quer vor den Eigang und auf der
Diele und in den Schlafkammern hatten sie alles so umgestürzt und mit Lehm und Stallmist ungastlich gemacht, dass
es den Eindruck einer verwohnten und sinnlos gesprengten Behausung wohl erwecken konnte. Die Menschen hatten ihre
Bettpfühle und die Habe, die ihnen geblieben war, Töpfe, Krüge, Leinen, Saat und Geräuchertes, unter das strohene
Dach geschleppt. Dort floß das Licht nur spärlich, aber der Duft von süßem sommerlichem Heu, der Geruch alten
Holzes und der Dunst des Rauchfanges umgab sie mit einer köstlichen Wärme, die sie an vieles aus ihrer Jugend
erinnerte, als ihnen dies alles hier etwas bedeutet hatte.
Des Nachts wühlten sich die Bauern ins Stroh, zogen die mit Schafwolle gefüllten Leinensäcke bis über die Ohren und
bissen sich fest in den Wunsch zu schlafen. Aber sie hatten am Tage nicht gearbeitet, das Warten und Horchen, das
Hoffen und furchtsame Dastehen in den zugigen Räumen und am Waldesrand, da wo man ins Tal hinabzublicken vermochte,
ließ sie nicht müde werden, sondern gab ihnen in den Schlaf hinein eine Furcht und Erregtheit mit, die sie bei dem
leisesten Geräusch emportrieb.
Oft war es dann geschehen, dass im strömenden Regen Reiter vor dem Hause gehalten hatten, Franzosen, wie sie am
Klang nicht unbekannter Flüche hören konnten. Die Reiter waren abgesessen, hatten ein paar Pistolenschüsse ins Haus
geballert, die etwa darin Wohnenden zu wecken und hatten sich bis zum Morgengrauen notdürftig dort eingerichtet.
Oder sie hatten bei wüstem Gezech Spielkarten auf das Kalbfell geworfen, wozu dann von irgendwoher der Notschrei
einer Frau oder eines Mädchens aufgestanden war. Und bisweilen kam auch ein Kurier, der sich in der Einsamkeit des
Hauses, an ein übel riechendes Strohbündel gepresst, wohl selbst fürchtete, denn die ängstlich horchenden Bauern,
die mit der Axt in der Hand bereit standen, den Hineindrängenden zu töten, vernahmen nicht die Atemzüge ruhigen
Schlafes, sondern knisternde Angst.
Dann kamen Nächste, in denen schon die Winterkälte an ihre Leiber tastete und am Morgen die Erde grau und hart war.
In diesen Tagen, da sie oft und sich vorsichtig bückend nicht unruhiger als Rehe sich vor spürenden Jäger mit
geschärfter Achtsamkeit bewegen, über ihre abgebrannten Äcker schritten und all der Jammer sie befiel, den sie nun
schon seit Monaten erdulden mussten, war ihre Not am größten.
Es kam ihnen vor Augen, wie im Frühjahr Wicke und geiles Gras, Brennessel und Löwenzahn die Äcker überwuchern und
wie all der Fleiß ihrer Hände und die Kraft von vielen Vorfahren vertan sein würde, wenn vor dem Einfall des
Winters die Äcker nicht gepflügt und besät wären. Deshalb war unter allen Geräuschen eins, das ihren Ohren weither
erreichbar war und ihr Herz lauter klopfen ließ: Der Aufschlag der Hufe. Schnaubende Rosse. Jedoch hatten sie vor
dem abscheulichen Treiben der Franzosen, die dem Bauer mit grausamer Gewalt den Tanz um den welschen Freiheitsbaum
beibringen wollten, Furcht und sie wagten es nicht, einen dieser rotbemützten Teufel aus dem Sattel zu
schlagen.
Einmal, als sie am Abend lange zusammengehockt und von den Feldern gesprochen hatten, die nun bald bestellt werden
müssten, wollten sie nicht dem Hunger erliegen – da vernahmen sie von weitem das dumpfe Geklopf von Pferdehufen.
Sie sprachen mit einem Male nicht mehr, das Wort blieb ihnen im Halse stecken, es kam gewaltig über sie, ihr Herz
klopfte laut gegen ihre Brust. Immer lauter und dröhnender schwoll das rasende Getrommel an, es war, als sei ihnen
all die Zeit über befohlen gewesen, auf diese Stunde zu harren.
Dies waren seine Reiter. Ja, weil sie daran allezeit stillschweigend gedacht hatten, weil es in ihren Herzen
umstößliche Gewißheit geworden war, dass solches Wunder geschehen müsste, stürzten sie furchtlos aus ihrem Versteck
und rannten dem Tale zu, auf dessen Grunde der Strom der Pferde verlief. Kaum ließen sie sich Zeit zu ergründen, ob
das Erhoffte sich nun auch wirklich ereignen würde und nicht etwa ein Heer leitreitender Teufel auf sie losgelassen
sei, so ließen sie und riefen sich zu, ströhnen vor Freude: Wenn Gott uns so sichtbar zu Hilfe kommt, dann
ist der Krieg, den die Franzosen führen, ungerecht und im Lenz werden sich die Äcker wieder mit dem grünen Hauch
der keimenden Frucht überziehen!
Sie irrten sich nicht. Die Pferde stürmten heran. Ohne Reiter, blank und kräftig, der Mond legte silbernde Bahnen
über ihre eingebuchteten Rücken. Die Tiere schnaubten und wieherten, gleichsam als seien sie eben erst erschaffen
worden. Beim Anblick dieser breitgewölbten Ackergäule, ihrer dicken Fesseln und wehenden Schweife jubelten die
Bauern auf. Hinter dem Strom der Pferde jagte ein Reiter, der in der Hand eine blutrot lodernde Fackel schwang.
„Eijo... eijo...“ schrie er in die Zurufe der Bauern, die von allen Seiten herbeieilten, sich im Lauf auf einen
Pferderücken warfen, die Mähne fest umklammerten und ihr Tier gewaltsam aus dem wogenden Trab herausrissen. Den
Reiter hatten sie nicht erkannt, nur die Fackel hatte ihnen einen Herzschlag lang das wilde, in Rachsucht glühende
und triumphierende Gesicht eines Bauern gezeigt...
Lange noch hörten sie die trommelnden Hufe über die harte Erde poltern. Dann wurde es mählich still. Als sie nach
einer Woche in unermüdlicher Schaffensgier die Äcker gepflügt und mit weitausholender Hand die Saat zum Brote
gestreut hatten, mussten sie die Gäule an die verhaßten Soldaten wieder ausliefern, die gekommen waren zu
requirieren, was sich an Vieh und Lebensmitteln und insbesondere an Pferden nur auftreiben ließ.
Im Frühjahr darauf, als die Saat aufging und auch die Obstbäume und Sträucher in ein sonnentrankenes Blühen
ausgebrochen waren, als sollte in diesem Sommer auf des Höchsten Befehl alles umso fruchtbarer gedeihen, kam den
Bauern die Kunde zu, dass die Franzosen des Mannes, der ihnen im Herbst die Koppelriemen der Pferde durchschnitten
und diese mit einer flammenden Leuchte ins Bauernland getrieben hätte, habhaft geworden seien und ihn zu Düsseldorf
aufs Rad geflochten hätten.
Bernhard
Schulz
Berliner
Börsenzeitung 28.1.1938
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