Zwischen Schulz und Goethe
„Unsere Maler
haben es nicht nötig, nach Rothenburg ob der Tauber, nach Granada und wer weiß wo noch hin zu reisen, um malerische Vorlagen zu finden; Osnabrück bietet sie ihnen
genug." Was wie ein flotter Werbeslogan aus dem Verkehrsamt klingt, wurde schon 1899 geschrieben, und zwar von
Hermann Löns. Der Heidedichter, Naturwissenschaftler, Jäger und Künstler ist nur einer von rund 30 Autoren, die
in einem Büchlein zu Worte kommen, das in Geschichten, Gedichten, Erzählungen, Liedern und Anekdoten das
Loblied der Osnabrücker und ihrer geschichtsträchtigen Stadt singen und als liebenswürdige Verbeugung vor der
alten Hanse- und Friedensstadt verstanden werden will. Die Geschenkreihe „Kleine Bettlektüre", die schon für weltherzige Aachener, kesse Berliner,
weltoffene Düsseldorfer, lustige Hannoveraner und andere bestimmt war, wendet sich nun auch an „standfeste
Osnabrücker" und ist allen „steckenpferdreitenden, traditionsbewussten, aufgeschlossenen Osnabrückern von
echtem Schrot und Korn" gewidmet. Das Titelbild, das einen solchen Reiter auf dem Rathausdach, einen mächtigen
Räucherschinken auf der Spitze des Marienkirchturms und einen Mönch mit Grünkohl und prämierten Bullen vor dem
Dom zeigt, deutet schon an, was hier mit Scherz, Satire, Ironie und (mehr oder weniger) tieferer Bedeutung zu
Papier gebracht wurde.
'Natürlich sind unsere heimischen Literaten vertreten:
Hanns-Gerd Rabe, Ludwig Schirmeyer, Karl Kühling, Ilsetraut Lindemann, Heinrich Riepe, Ludwig Bäte, Gudula Budke
und Bernhard Schulz (in der Reihenfolge des Auftretens). Und natürlich Erich Maria Remarque mit einem
sehnsuchtsvollen Traum des Hitlers Haschern entkommenen Flüchtlings aus dem Roman „Die Nacht von
Lissabon". Erstaunlich, wie viel berühmte Frauen und
Männer sich mit der Hasestadt befasst haben! Dass Goethe dem „herrlichen Justus Möser" ein literarisches Denkmal
setzte, ist bekannt. Doch wer wusste, dass die 1947 verstorbene Dichterin Ricarda Huch die beiden Friedensstädte
so treffend verglich: „Nichts ist in Osnabrück von dem gedämpften Feuer, der stolzen Repräsentation, der
gelassenen Großartigkeit Münsters, dagegen gewinnt es durch seine würdige Schlichtheit, sein unaufdringliches Selbstbewusstsein
..." Wahrend der geistvolle Satiriker,
Physiker und Schriftsteller Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799) die Tausendjahrfeier des Bistums auf
seine Weise beschreibt: „... dass man das Fest feyerte, weil vor 1000 Jahren Carl der große die Christliche
Religion eingeführet hat, des Abends gieng es in manchen Straßen her, als wenn man sie ihm zu Ehren wieder
abstellen wolte", nennt der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr als tiefsten Eindruck seines Besuchs in
Osnabrück Im Jahre 1920: „Im Rathaus stand ich, in dem Zimmer, worin der Friede des Dreißigjährigen Krieges
geschlossen worden ist..." „Osnabrück ist nicht Westfalen, aber sehr westfälisch. Hier wird ein Pumpernickel gebacken,
der sich vor dem münsterländischen nicht zu verbergen braucht...", stellt der Dichter Werner Bergengruen in
seiner „Deutschen Reise" (1959) fest. Und Löns, um ihn noch einmal zu erwähnen, begeistert sich um die
Jahrhundertwende an den deftigen Häusern in Alt-Osnabrück mit den sorgfaätig erhaltenen Fassaden, an den
prangenden Blumenbeeten im Schlossgarten, dem malerischen Heger Tor, der Marienkirche („eines der schönsten
deutschen Gotteshäuser"), an der Krahnstraße, wo man sehen kann wie hübsch sich moderne Läden alten Häusern
anpassen lassen ohne zu stören, und den „auffallend vielen hübschen Mädchen und prächtigen Männerfiguren".
Anstelle eines Eissportcenters gab es um die Jahrhundertwende, so informiert uns die kleine Bettlektüre, zwei
weiträumige Eisbahnen unweit des Schlachthofes, Preissteigerungen, vor allem beim Fleisch, wurden schon
während des Friedenskongresses 1643—1648 beklagt, und in einem Essay über den Punkt erwähnt der Feuilletonist
Gerd Karpe ausgerechnet die Jagd des VfL nach Punkten an der Bremer Brücke. Doch am treffendsten hat wohl ein Mann die Hasestadt charakterisiert, der
nicht ganz so berühmt und alt wie Goethe ist, dafür aber den Vorteil hat, mitten unter uns zu leben. Bernhard
Schulz meint: „Osnabrück ist eine ehrliche Stadt. Osnabrück hat kein Pflaster für Snobs und Leisetreter,
keinen Raum für Avantgardisten und Experimentierer, keine Antenne für Witzeleien und Korrekturen durch
Gespött. Bewundert wird der Mann, der Acht ums Vordereck wirft. Beneidet wird, wer im Schützenzug die Fahne
trägt, anerkannt wird, wer im Vereinsleben die Rede hält...
Helmut Hertel, Nov.1981
|