Am liebsten sehe ich Pferdeopern
Es gibt richtige Opern, die auf der Bühne spielen, und es gibt die minderwertige Art der
Pferdeoper, die für die Leinwand hergestellt wird. Der Unterschied zwischen beiden Opern ist etwa folgender: In der
richtigen Oper treten Sänger und Harfen auf, in der Pferdeoper aber nur Gäule und Pistolen. Beide Dinge werden mit
hohem künstlerischem Aufwand verwendet.
Nun ist es so, dass sich das Publikum im großen und ganzen in zwei Hälften teilt. Die eine
Hälfte bevorzugt die Oper mit den Harfen, die andere Hälfte bevorzugt die Oper mit den Pistolen, und beide Hälften
verachten einander gründlich. Selbstverständlich haben die Harfen die Kultur und den hohen sittlichen Gehalt auf
ihrer Seite, was man von den Pistolen nicht sagen kann.
In der richtigen Oper wird alles ausführlich und laut besungen. Selbst das Sterben des
Opernhelden zieht sich durch mehrere Akte hindurch. Der Sterbende richtet sich immer wieder auf seinem Lager
empor und schmettert letzte Arien.
Die Pferdeoper kann sich solche Weitschweifigkeiten nicht leisten. Hier wird hurtig gestorben,
und zwar völlig gesanglos. Das einzige, was man hört, sind Schüsse. Die Pferdeoper, in der Kinosprache Western
genannt, ist eine Erfindung der Amerikaner. In den Western spielt sich die Geschichte der Eroberung Amerikas ab.
Diese Eroberung hat, das ist entscheidend, nicht vom Polstersitz eines Kraftwagens aus sondern vom Pferderücken
herab stattgefunden. Das Geschichte der Eroberung Amerikas bietet der Welt eine letzte Gelegenheit, den Einsatz von
Pferden auf dem Gebiet der bildenden Kunst zu rechtfertigen. Am Tage nach dem Endsieg wurden die Pferde
abgeschafft and die Produktion des Autos per Fließband eingeleitet.
Ein Western ohne Pferde ist kein Western. Und natürlich müssen in einer Pferdeoper eine Menge
Schurken vorkommen, die von den anderen Pistolenschützen, die keine Schurken sind, verfolgt worden. Das ist dann
eine großartige Jagd. Nicht hopphopphopp über Stock und Stein, Pferdchen brich dir nicht das Bein. Nein, auf
Pferdebeine wird dabei überhaupt keine Rücksicht genommen. Es geht wahrhaft mörderisch zu. Die Pferdeleiber
schnellen im hohen Bogen über die Canons hinweg, in denen sich die Indianer aufhalten. Die Canons sind genau das,
was die Pferde am liebsten mögen.
Wenn die Schurken heruntergeschossen sind, was sie mit einem dramatischen Purzelbaum ausführen,
haben die Pferde endlich Zeit, sich in der Gegend umzuschauen. Sie wiehern fröhlich und fangen an, die Kakteen zu
verspeisen, oder was da in der Wüste von Arizona herumsteht! denn Schurken sterben in der Wüste von Arizona, das
ist ihre Strafe. Und außerdem ist der Sonnenuntergang wichtig für das neue Eastman color Verfahren der
Amerikaner.
Wenn vorhin geschrieben wurde, dass die richtige Oper weitschweifig, dann erlebt der
Kinobesucher jetzt in der Wüste von Arizona ein Beispiel für lapidare Kürze. Der Schurke liegt also da und die
beiden Verfolger, der Sheriff von Little Griggs und Farmer Rakerbird, sind abgestiegen. „Hm", sagt der Farmer,
„der ist erledigt." Antwortet der Sheriff: „Ja, sieht so aus!"
Dieses „Sieht so aus" ist das kürzeste und lässigste, das in amerikanischen Filmen vorkommt.
Keine Spur von Rührung oder Mitleid. Statt des Gesanges nicht einmal Triumphgeheul. Sheriff und Farmer stecken
die Pistolen ein und reiten davon, und erst jetzt kommt ein bisschen Schlagermusik ins Hoppehoppehopp der
Heimkehr.
„Gibst du einen Whisky aus?" fragt der Farmer. Der Sheriff antwortet nach einer Weile: „Bist du
sicher, dass du Whisky gesagt hast?"
Auch dieses „Bist du sicher" rechnet zu den erlesenen Feinheiten des Western. Ich finde es
todschick, und ich gehe nur deshalb so gern in die Pferdeoper, weil es wenigstens einmal darin vorkommt. Ist doch
schön, diese Lässigkeit.....
Von Bernhard Schulz, 6. Jan.1962
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