Einladung zur Mandelblüte
Wir haben wie jede Stadt einen Verein, der Fußball spielt. Um den Ruf unserer Mannschaft zu steigern und am
Stadion Verbesserungen durchzuführen, wurde eine Tombola veranstaltet. Den Hauptgewinn, eine Einladung zur
Mandelblüte nach Mallorca, stiftete ein Reisebüro.
Der Gewinner meldete sich nicht. Der Hauptgewinn wurde nicht abgeholt. Auch die Zeitung hatte mit einem Aufruf
keinen Erfolg. Erst nach Wochen, als die Mandelblüte vergessen war, meldete sich im Reisebüro ein älterer Mann, dem
man das Hinterland ansah. In seinem schwarzen Anzug erweckte er den Eindruck, als käme er von einer Beerdigung. Er
legte sein Los mit der Nummer 31847 auf den Tisch und sagte: „Hier“, weiter nichts.
„Gratuliere“, sagte die junge Frau hinter dem Schreibtisch. „Sie haben eine Reise für zwei Personen nach Mallorca
gewonnen. Vierzehn Tage Vollpension in einem Luxushotel in Arenal. Wann wollen Sie reisen? Die Mandelblüte
allerdings...“
Der Mann drehte verlegen seinen Hut vor dem Bauch und fragte: „Was sagen Sie da? Mama... mmama... wo liegt denn
das?“
Der jungen Frau verschlug es buchstäblich die Sprache. „Mallorca ist eine spanische Insel im Mittelmeer.“ Einen
Herzschlag lang wusste auch die junge Frau nicht, ob es wirklich das Mittelmeer war. Dieser Mann konnte einen aus
der Fassung bringen. Kennt Mallorca nicht. Nein – sowas.
Wo der wohl herkommt, dachte die junge Frau. Der mit seinem Hochzeitsanzug? Und dann sagte sie mit ergebener
Stimme, fast schon mitleidig: „Sie bekommen ein Doppelzimmer mit Bad, Telefon, Fernseher, Hausbar und Balkon mit
Blick aufs Mittelmeer. Sie werden sich dort wohlfühlen.“
Es war ihm anzusehen, dass er gar nicht vorhatte, sich am Mittelmeer wohlzufühlen. „Entschuldigen Sie bitte,
Fräulein“, sagte er, indem er immer noch den Hut vor dem Bauch drehte, „dieses Mamamork... oder wie es jetzt heißt,
liegt das im Ausland?“
Jetzt lächelte die junge Frau, die täglich Flugtickets nach Rio de Janeiro, nach Tokio und in die Dominikanische
Republik verkauft, und sagte: „Mallorca ist Ausland, ja, aber Sie brauchen keinen Pass. Personalausweis genügt.
Welcher Termin passt ihnen denn? Wir fliegen täglich.“
„Sagten Sie fliegen?“ stotterte der Mann. „Ich will nicht fliegen und meine Frau will auch nicht fliegen. Luft hat
keine Balken, stimmt's?
Er setzte den Hut auf, der Vorgang war für ihn erledigt. Auf Wiedersehen. Aber in der Tür blieb er stehen, wandte
sich noch einmal an das Fräulein und fragte: „Sind Sie verheiratet?“
Die junge Frau wunderte sich und nickte: „Ja, ich bin verheiratet. Wieso?“
Und der Mann sagte: „Ich schenke Ihnen das Los. Gute Reise und viel Spaß und grüßen Sie mir Ihren Mann.“
Die junge Frau im Reisebüro, die täglich Flugtickets nach Rio de Janeiro, Tokio und in die Dominikanische Republik
verkauft, erzählt immer noch gern die ganz und gar unglaubliche Geschichte von dem Mann, der einen Flug für zwei
Personen nach Mallorca gewonnen hatte und den Namen nie gehört hatte.
„Er wollte lieber im Dorf bleiben und auf die Apfelblüte warten“, erzählte sie.
Die Zuhörer lachten, und jemand sagte: „Na, wenigstens einer, der mit den Füßen auf der Erde bleibt.“
Erschienen 1978
|