Eine lange Nacht der Lügen
Nach Kriegsende mußten
Hunderttausende deutscher Gefangener in US-Lagern
sterben
Bestseller in Kanada, aufsehenerregende Neuerscheinung in der Bundesrepublik: In
dem Buch „Der geplanteTod" behauptet ein kanadischer Autor, die USA
hätten nach Kriegsende Hunderttausenden von deutschen Gefangenen
bewußt Hilfe verweigert und damit deren
Tod in Kauf genommen. Historiker reagieren skeptisch.
Stundenlang stand er am Zaun des Lagers. Dort draußen lag sein Dorf fast zum Greifen nah, für
ihn war es unerreichbar. Eines Morgens wurde der 17 jährige Bursche tot am Fuße des Zaunes
gefunden - offenbar erschossen
beim Versuch, heim zur Mutter zu flüchten. Ein US Projektil hatte ihm eine Gesichtshälfte weggeschmettert.
Seine deutschen Mitgefangenen mussten am toten Körper vorbei marschieren.
„Mörder, Mörder!" schleuderten sie dem
amerikanischen Kommandanten entgegen - was böse
Folgen hatte: Drei Tage lang kappte der Offizier die ohnehin schmale
Essensration, etliche Menschen starben vor Hunger.
In Rheinberg am Niederrhein lagerten Häftlinge „ohne Obdach tagein, tagaus", berichtete ein Augenzeuge. Das
Bild war zum Erbarmen:
„Amputierte schlitterten wie Amphibien durch den Matsch, durchnäßt und fröstelnd." Viele überlebten die Tortur
nicht.
Um sich gegen die Kälte zu schützen, schmiegten Männer sich in lange Erdlöcher, die sie mit bloßen Händen gegraben hatten - Bauch an Rücken, Knie an Kniekehle. Manche tranken den eigenen Urin, weil es nichts gab, andere „leckten den Boden in
der Hoffnung, ein bisschen
Feuchtigkeit zubekommen". Sie wurden
krank - und krepierten.
Hitlers Krieg war längst zu
Ende, aber nicht für alle.
„Nie", notierte ein
50jähriger Feldwebel in sein Tagebuch aus
grobem Verpackungspapier, habe er „den Siegern
eine solche barbarische Art der Kriegsgefangenbehandlung zugetraut".
Wer sich über den eigegen
Durst oder peitschenden Regen beschwerte, wurde obendrein ausgelacht: „Du
hast keine Rechte."
Fast sechs Jahre nach dem Überfall auf Polen, der mit 1,5 Millionen Soldaten begonnen hatte, verharrten rund 10 Millionen Deutsche in Kriegsgefangenschaft
- weltweit verteilt auf mehr als
20 Staaten. Allein in amerikanischem Gewahrsam
befanden sich 3,1 Millionen
Menschen.
Diese Daten sind historisch einigermaßen gesichert, und bislang
galten die Amerikaner den meisten Deutschen seit damals als Erlöser. Ein Buch des kanadischen Lektors und Journalisten James
Bacque, 60, könnte diese Einschätzung ins Wanken
bringen*.
In dem amerikanischen „Bestseller"(so das US-Nachrichtenmagazin Time),
der diesen Monat in deutscher Sprache erscheint, behauptet Bacque aufgrund neuer
Archivfunde, die US-Führung habe 1945 in deutschen Camps „furchtbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen:
Gefangene bekamen bewußt so wenig zu essen, daß sie sterben mußten, „obschon genügend Lebensmittel" zur Verfügung standen;
die hygienischen und sanitären Bedingungen waren miserabel und führten
schnell zu tödlichen Krankheiten;
Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz blieb der Zutritt verwehrt, eine internationale
Kontrolle fehlte. Der Autor schätzt, daß in amerikanischen und französischen
Lagern, in die Washington Deutsche
überstellen ließ, die Zahl der Toten „wahrscheinlich bei
mehr als einer Million liegt"; die Behandlung der Verlierer in anderen verbündeten Ländern des Westens wie England und Kanada sei hingegen durchaus human
gewesen.
Eine konkrete Ziffer, räumt Bacqueein, werde „immer umstritten sein", weil Akten „vernichtet,
geändert oder als geheim unter Verschluß gehalten worden" seien - „bis auf den heutigen Tag". DieGeschichtsschreibung ist bisher, offiziellen amerikanischen Quellen folgend,
von lediglich einigen zehntausend Opfern ausgegangen, der Vorwurf systematisch herbeigeführter Hungersnöte
ist neu. Bacque will deshalb „nach einer langen Nacht der Lügen" diese „amerikanische Tragödie" aufrollen.
Dabei beginnt die Geschichte deutscher Kriegsgefangener in
US-Obhut, der Prisoners Of War (POW), durchaus entspannt. Die ersten - nur 31 - POW
waren im Mai 1942 auf dem amerikanischen Kontinent angekommen. Bereits vom
Sommer 1943 an fielen den
US-Truppen monatlich Tausende deutscher Landser in die Hände.
Angesichts der Gefangenenflut entstanden Lager, die nach einem
Standardplan für jeweils 2000 bis
4000 Gefangene ausgelegt waren. Vom
Speisesaal über Werkstatt und Kaufladen
bis zum Sportplatz sahen sie den Ausbildungslagern der U.S. Army sehr
ähnlich- bis auf die Stacheldrahtzäune
und die Scheinwerfer.
Nicht wenigen Amerikanern erschienen die Lager zu fein für die
gefangenenGegner.
In Anspielung auf ein Pariser Luxushotel und den Spitznamen der Deutschen bürgerte
sich die Bezeichnung „The Fritz Ritz" für die Lager ein.
Nach und nach besetzten deutsche Kriegsgefangene frei gewordene Posten vor allem in der
Landwirtschaft, aber auch in der Holz- und Fleischwarenindustrie, bei der Eisenbahn und
selbst in den Schreibstuben der Army. Diese Männer, befand der amerikanische Historiker Arnold Krammer, „erfüllten eine lebenswichtige
Rolle beim Ausgleich des akuten heimischen Mangels an
Arbeitskräften".
So unentbehrlich war „Fritz"
mittlerweile gerade für die US-Farmer geworden, daß sie den längst zum Oberbefehlshaber der Alliierten Truppen in Europa ernannten
General Dwight D.Eisenhower aufforderten, sofort weitere
150.000 Gefangene als Arbeitskräfte
nach den USA in Marsch
zusetzen. Amerikas höchster Offizier, später 34. Präsident der Vereinigten Staaten, zeigte wenig Neigung, denn mittlerweile war ihm die Problematik deutscher
POW auf dem Kriegsschauplatz Europa zur Last geworden.
„Ein Jammer,
daß wir nicht mehr umgebracht haben", notierte
er ins Postskriptum eines Briefes an General George C. Marshall.
Eisenhower „haßte" die Deutschen, wie er
seiner Frau Mamie schrieb. Bei einem Besuch des britischen Botschafters forderte er, alle Offiziere des
deutschen Generalstabes.
Neue Klassen von Gefangenen sollten „ausgerottet" werden, auch
alle Führer der Nazi-Partei vom Bürgermeister an aufwärts sowie alle
Angehörigen der Gestapo.
Je weiter seine Truppen ins Innere desHitler-Reiches eindrangen, desto schroffer wurde Eisenhowers Haltung den
Deutschen gegenüber. Bei ihrem Vormarsch über den Rhein hinweg machten
die US-Soldaten schaurige Entdeckungen, als sie, so der Passauer
Zeitgeschichtler Winfried Becker, „auf´die Spuren der letzten
Morde der Gestapo und der SS"
stießen.
Wo sie es konnten, ließen sie
die Leichen exhumierenund neu bestatten - meist wurden die
örtlichen Parteigenossen zu diesen Arbeiten herangezogen. Bald schämte
sich Eisenhower, daß er„einen deutschen Namen" trug.
„Die Deutschen", sagt
der Passauer Becker, hätten folgerichtig „kaum erwarten"
können, daß die Entdeckung der „zuletzt begangenen
Scheußlichkeiten und die Greuel der
Konzentrationslager ohne Rückwirkung auf das Verhalten der Alliierten ihnen gegenüber" blieben.
Und so kam es auch. Am 10. März 1945,
gerade war mit Köln einer der wichtigsten
Brückenköpfe genommen, regte Eisenhower bei den Combined Chiefs of Staff (CCS) schriftlich
die „Schaffung einer neuen Klasse von Gefangenen" an. Immer noch galt Artikel 7
der Anlage zur Haager Landkriegsordnung,
wonach Kriegsgefangene „in Beziehung auf Nahrung, Unterkunft und
Kleidung auf demselben Fuße zu behandeln" seien wie die
siegreichenTruppen; eine ähnliche Verordnung enthält auch die
Genfer Konvention von 1929.
Eisenhower störte das nicht. Ihm erschien es angesichts der Versorgungsnotlage im
Lande „nicht wünschenswert", deutschen „Streitkräften Rationen zuzuteilen, die
weit über das für die Zivilbevölkerung verfügbare Maß" hinausreichten; die andere Kategorie
Kriegsgefangener wurde Disarmed Enemy Forces (DEF) genannt,
entwaffnete Feindkräfte.
Es handelte sich um Soldaten, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht die Menschlichkeit der völkerrechtlichen Vereinbarungen erfahren sollten oder durften, wobei das zum
damaligen Zeitpunkt noch fiktive Datum einer bedingungslosen Kapitulation entscheidend
fürs Wohl und Wehe war: vorher
POW, nachher DEF.
Die Briten in der CCS lehnten Eisenhowers Vorschlag ab, der wählte daraufhin den Alleingang.
Vor der Öffentlichkeit verbarg Eisenhower sein Vorhaben: Auf einer
Pressekonferenz in Paris erklärte er, die „gesamte Geschichte der Vereinigten
Staaten" bestehe „auch darin, einem besiegten Feind gegenüber großmütig zu
sein: Wir beachten alle Gesetze der Genfer Konvention".
Als im April und im Mai vor allem am Rhein entlang für Hunderttausende deutscher Soldaten die
Prisoner of WarTemporary Enclosures (PWTE) eingerichtet wurden, schaltete
sich Eisenhower persönlich ein. Er ordnete an, die Gefangenen dürften weder
„Obdach noch irgendeinen anderen Komfort" haben - was er nicht
ironisch meinte.
Die Camps, ob in Remagen oderSinzig, Rheinberg oder Andernach, waren lediglich mit Stacheldraht umzäunte Weiden und Wiesen,
feste Unterkünfte gab es nicht. Ursprünglich sollte jeder Gefangene
16 Quadratmeter Platz haben, meist blieben nur 2 oder 3.
Manche Männer standen tage- und nächtelang apathisch in ihren Erdlöchern, unfähig, „um sich krank zu melden noch um zu essen",
wie ein US-Leutnant notierte -
sofern es überhaupt etwas zu beißen oder zu
trinken gab.
Autor Bacque hegt den Verdacht, die Amerikaner hätten „alles für die Gefangenen Notwendige absichtlich in Mangel gehalten";
darunter mußten vor allem jene Soldaten leiden, denen das Eisenhower-Verdikt
den gängigen POW-Status einfach weg befahl - allein zwischen dem 2. Juni und
dem 28. Juli1945 wurden fast 600 000 Soldaten in den „tödlichen DEF-Status überführt".
Eisenhowers Truppe hingegen lebte im Überfluß. „Wir hatten Lebensmittel reichlich", bemerkte
ein hoher Offizier, „unser Problem bestand darin, alles zu
kochen." In den Akten der Quartiermeisterei fand Bacque die Bestätigung für den
„gewaltigen Lebensmittelüberschuß" - in den Monaten April bis Juli besaß die Army einen ungenutzten Vorrat, der für 400 Tage gereicht hätte.
Auch Hilfe von außen wurde verwehrt. Das Rote Kreuz lagerte 13
Millionen Lebensmittelpakete, jedes einzelne hätte einen Menschen zwei Wochen lang mit täglich 1000
Kalorienversorgen können. Das Oberkommando wußte, ausweislich eines
Protokolls, spätestens seit dem 13. Juni 1945 von den riesigen Vorräten - sie blieben eingebunkert.
Stattdessen nahm es in Kauf, daß ihm die Gefangenen in den Enclosures zu Tausenden umkamen.
Nach internen Statistiken und Berichten starben bis zu 15 Prozent „eindeutig an Unterernährung und Flüssigkeitsmangel sowie an Erschöpfung".
Die anderen erlagen „Krankheiten", schreibt Bacque, „die durch die elenden
und schutzlosallen Witterungseinflüssen ausgesetzten Lebensbedingungen verursacht und zweifellos durch
Aushungerung verschärft" worden seien.
Von Mai bis Mitte Juni registrierten Ärzte und „4000-Kalorien-Offiziere" (Bacque) entlang des
Rheins eine Sterblichkeitsrate, die 80mal höher lag als normal, eine Zahl, die es „seit dem Mittelalter" nicht
gegeben habe. Bacque: „Die medizinische Terminologie selbst reicht nicht mehr
ganz aus angesichts dieser Katastrophe."
Seinen Berechnungen zufolge kamen in den amerikanischen Lagern 793.239 Gefangene zu Tode, in
französischen rund 167.000. „Other losses", „sonstige
Verluste", hießen sie in der nüchternen Sprache der US-Kriegsstatistiker, Paris sprach von
Menschen, die „perduspour raisons diverses" seien, also „verloren aus
verschiedenen Gründen".
Amerikanische Wissenschaftler haben auf Bacques Buch skeptisch bis abwartend reagiert. „Kein Historiker könnte
dieses Buch geschrieben haben", kritisierte der Geschichtsprofessor
GabrielKolko aus Toronto die Bacque-Methode, Daten aus nur bruchstückhaft erhaltenen Statistiken zu Gesamtzahlen
hochzurechnen.
Der Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler begrüßt gleichwohl
das Erscheinen des Buches: Bacque solle „veröffentlichen, wo immer er will,
und wir können über seine Quellen debattieren". Das
Magazin Time allerdings warf letzte Woche die Frage auf, ob
die deutsche Geschichtswissenschaft zu dieser Debatte genug beitragen könne: Sie habe sich
seit dem Kriege „mehr auf die Verfehlungen Deutschlands
konzentriert als auf die seiner jetzigen Verbündeten".
Autor Bacque spricht zu Recht von einer politischen Konzession. Den Amerikanern sei
„verziehen" worden, „ohne daß sie auch nur angeklagt waren".
Der Geldhahn wird vorerst nicht zugedreht. Aber die Drohung
bleibt: Wenn der Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), Dachverband von 17 Mitglieds- und 22 Diözesanverbänden, sich nicht endgültig„von seinem
Kirchenverständnis in aller Form distanziert", sei „keine Möglichkeit einer Zusammenarbeit" mehr
gegeben.
Was der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer BischofKarl Lehmann, 53, am
Freitag letzter Woche als Beratungsergebnis der bundesdeutschen Bischöfe zum
besten gab, ist der vorletzte Akt in einem jahrelangen Hader, in dem sich die
Oberhirten und ihre rund 500.000 Mitglieder starken Jugendorganisationen
gründlich auseinandergelebt haben.
Ausgelöst wurde der jüngste Streit durch den Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba, 60, der dem BDKJ
in seinem Bistum zum Jahresende alle Räume und Zuschüsse aufgekündigt hat.
Als daraufhin der BDKJ-Dachverband zu einem „Solidaritätsfest" nach Fulda
lud, drohte der Ständige Rat der Bischofskonferenz auch der BDKJ-Bundeszentrale mit Geldentzug, falls der Protest nicht abgesagt werde. Doch vorletzten Sonntag
fand das Fest statt, trotz strömenden Regens mit fast 4000 Teilnehmern und
großem publizistischen Echo.
Das wiederum rief die Besonnenen in der Bischofskonferenz auf den Plan. Angesichts der Aussicht, mit einem spektakulären Geldentzug
womöglich abermals für negative Schlagzeilen zu sorgen, beschlossen die Bischöfe eine Art
stillen Tod: eine „Neustrukturierung" der
Jugendarbeit.
Worauf der Kurswechsel hinausläuft, sagte Lehmann unverblümt: Bischöfe hätten bekanntlich „das
selbstverständliche Recht", unabhängig vom BDKJ „die Arbeit der Pfarijugend
auf diözesaner Ebene zu organisieren". Der BDKJ wäre dann
überflüssig.
Der Unmut vieler Bischöfe sitzt tief. Er reicht zurück bis ans Ende der sechziger Jahre, als
den katholischen Jugendverbänden allmählich der Nachwuchs auszubleiben begann.
Dem BDKJ-Brain-Trust in der Düsseldorfer Bundeszentrale wurde damals klar, daß ihre Mitgliedsverbände nur dann eine
Chance zum Überleben haben, wenn sie sich
den Bedürfnissen Jugendlicher anpaßten. Also mußten nicht nur neue Formen
her, statt Gruppenabend und Wanderfahrt die Projektgruppe und der
Initiativkreis, gefragt waren vor allem neue Inhalte.
Ersten Ärger mit den Bischöfen gb es bereits 1967, als der BDKJ sich von seiner
traditionellen Unionsbindung verabschiedete und „Äquidistanz zu den Parteien" reklamierte. Das war kein leichter Schnitt, denn bis dahin war die Union eine der
Versorgungsbasen für ausgediente BDKJ-Funktionäre gewesen.
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