2. Mär.1989
Sehr geehrter Herr Nikolai Andrejewitsch Tschumakow,
Danke für Ihren Brief vom 2.2.1989, den mir Herr Dr. Georg Moll übersetzt hat. Mir liegt viel
daran, Ihnen mit Antworten zu dienen. Ich fühle mich jedoch bei der Beantwortung der Fragen, die Sie mir stellen,
überfordert. Ich bitte Sie, zu verstehen, dass ich ein gemeiner und für den strategischen Ablauf völlig
unbedeutender Soldat (Obergefreiter) war. Außerdem habe ich mich zum "Sieg" eher passiv als interessiert verhalten.
Mir ging es allein darum, am Leben zu bleibenund weder einen Mord noch sonst eine Untat auf meine Seele zu
laden, die als Folge einer klösterlichen Erziehung sehr empfindlich war. Meine Funktion als Soldat war Melder, das
heißt, ich hatte die Aufgabe, zwischen dem Zug ( etwa 3o Männer ) und der Kompanie die Verbindung zu halten:
Nachrichten überbringen und empfangen, Essen holen, Post verteilen usw. Höhere Gefechtsstände habe ich nicht kennen
gelernt, auch nicht das Lazarett oder den Gefechtsstand des Battaillons oder Regiments. Mir sind Namen von Straßen
und Nummern von Häusern nicht in Erinnerung geblieben, eben sowenig wie Namen von Vorgesetzten, etwa des
Kommandanten von Maklaki oder wer sonst ein "hoher Chef" war. Sehr geehrter Herr Tschumakow, ich möchte noch einmal
betonen, dass es sich bei meinen Erzählungen nicht um historische Darstellungen handelt, sondern um eine
dichterische Bemühung. Konnte ich denn ahnen, dass meine Worte jemals einen Herrn in Maklaki erreichen würden, dir
Nikolai Andrejewitsch Tschumakow heißt. Und diesen Herrn N.A. Tschumakow grüße ich jetzt aus weiter Ferne sehr
herzlich und wünsche ihm Glück und Erfolg bei seiner Arbeit, ein Museum aufzubauen und Erinnerungen an einen Krieg
festzuhalten, der sich nie wiederholen möge. Ich stehe Ihnen auch weiterhin für Fragen zur Verfügung.
Herzlichst Ihr Bernhard Schulz
5.Jan.1989
Sehr geehrter Herr Nikolai Andrejewitsch Tschumakow,
ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 7. Dezember 1988, den mir Dr. Georg Moll übersetzt hat. Ich
werde versuchen, Ihre Fragen nach bestem Wissen zu beantworten. Inzwischen sind immerhin fast 5o Jahre vergangen,
und das Gedächtnis hat nachgelassen. Vorerst sei gesagt, daß ich an die Themen des Buches nicht als Historiker,
sondern eher als Dichter herangegangen bin. Es gab keinen Grund für mich, exakt zu sein. Meine Aufgabe war es human
zu wirken und Protest gegen den Krieg auszudrücken, dass ist richtig.
Nun zu Ihren Fragen:
Die Namen der handelnden Personen sind frei erfunden.
Die Ereignisse haben tatsächlich so stattgefunden. Die Leiche des Obergefreiten Zeiske (er war
ein Bauer aus der Lüneburger Heide, der viele Kinder besaß und sich in der Säuglingspflege auskannte) haben wir
beim Rückzug aus Maklaki neben der Rollbahn gefunden. Säugling, Pferd und Schlitten waren verschwunden. Der
Muschik, der sich dem deutschen Soldaten ins Gewehr warf und starb, war ein "Hiwi" (Hilfswilliger). Die Deutschen
hatten ihn "requiriert", das heißt, sie hatten ihn gezwungen, ihnen mit Pferd und Schlitten zu dienen. Ich erinnere
mich gut an ihn. Er war ein demütiger, in sein Schicksal ergebener Mann, der in einem Leinenbeutelchen auf der
Brust eine Silbermünze mit dem Porträt eines Zaren hütete. Dass er Schuster war und Serafilm hieß, hab ich
erfunden, seine Existenz als "Hiwi" war mir peinlich.
Wer ist von den deutschen "Kriegshelden" noch am Leben? In meiner Kompanie gab es keine Helden.
Es waren in der Hauptsache Familienväter, die nach Hause wollten. Sie waren Soldaten und mussten ihre "Pflicht"
tun, das wird auf der Gegenseite nicht anders gewesen sein. Meine Kompanie ist bei den nachfolgenden Kämpfen so gut
wie aufgerieben worden. Ich selbst bin in Shisdra (Befund: Fleckfieber, Tularemie, Erfrierungen ) ins Lazarett
eingeliefert worden. Damit war der Krieg an der Front für mich zu Ende. Ob außer mir noch jemand von meiner
Kompanie lebt, weiß ich nicht. Ich kenne niemand, und ich hüte mich vor Kriegervereinen und Soldatentreffen.
Ich wurde 1936/37 als Infanterist ausgebildet, nahm an den Feldzügen gegen Polen, Holland,
Belgien, Frankreich und an der Eroberung der britischen Kanalinseln teil. In Maklaki war ich eingesetzt als Melder,
mein Dienstgrad war Obergefreiter, ein Rang ganz unten. In der Regel mussten die Häuser, die von den Deutschen
besetzt wurden, von Zivilpersonen geräumt werden. Ich weiß also nicht, auf welchem Ofen ich geschlafen habe und wie
der Besitzer des Ofens oder gar die Straße hieß, in der das Haus stand. In den Hütten lebten nur Frauen, Kinder und
alte Männer. Diese Menschen nahmen stumpf ergeben ihr Schicksal hin, es gab keinen Widerstand. Ich habe auf der
Straße den Kindern meine Schokolade und andere Süßigkeiten gegeben. Einmal wollte eine Frau meine Hand küssen, sie
sagte "dobre Pan", und das war die einzige Anerkennung, die mir der Krieg eingebracht hat.
Die 2 Fotos, die Sie wünschen, wird Herr Dr. Moll Ihnen mit seinen Aufnahmen zusammen schicken.
Weitere Fotos besitze ich nicht. Im Krieg konnte man keine Filme kaufen, und es war ungewöhnlich, dass ein
Frontsoldat im Brotbeutel einen Fotoapparat mitschleppte. Die 2 Fotos, die Sie bekommen, stammen von einem Mann,
mit dem ich befreundet war. Er war Ordonnanz im Regimentsstab. Er hat mich in Maklaki besucht und mir Lebensmittel
gebracht, einen ganzen Schlitten voll.
Was mein Porträt betrifft muss ich mich wohl fotografieren lassen. Bisher hat sich niemand um
ein Foto von mir gerissen. Ich werde in den kommenden Tagen versuchen, Erinnerungen an meinen Einsatz im Kessel von
Ssuchinitschi aufzuschreiben. Die gelangen dann später ( mit dem Porträt ) in Ihre Hand. Ich habe ja jetzt Ihre
Adresse, Sie sind kein Unbekannter mehr.
Übrigens: Vor drei Jahren bin ich mit meiner Frau in Moskau, Sagorsk und Leningrad gewesen, es
hat uns sehr gefallen. Wir möchten diese Reise gelegentlich wiederholen. Für Ihre Glückwünsche zum Neuen Jahr',
sehr geehrter Herr Nikolai Andrejewitsch Tschumakow, für feste Gesundheit, langes Leben und alles Erdenglück* danke
ich Ihnen von Herzen. Dass ich für das Museum Kampfesruhm in Maklaki etwas, wenn auch Geringfügiges, erledigen
darf, befreit mich von der Schuld, dass ich mit einem Gewehr im Anschlag in Ihr schönes Vaterland eindringen musste
und nicht vor Empörung geschrien habe. Ich habe damals sehr gelitten, denn der von mir am innigsten verehrte
Schriftsteller hieß Anton Pawlowitsch Cechov. Heute Abend sehe ich im Fernsehen "Onkel Wanja", darauf freue ich
mich.
Dies für heute Ihr Bernhard Schulz
4.Jan.1990
Sehr geehrter Herr Nikolai Abdrejewitsch Tschumakow,
Für Ihren Brief vom 26. Oktober 1989, den mir Herr Dr. Moll übersetzt hat, danke ich Ihnen. Ich
will versuchen, eine Antwort auf Ihre Fragen zu finden.
Dass ich meinem Buch den Titel "Die Krähen von Maklaki" gegeben habe, liegt daran, dass mich
persönlich diese schwarzen Vögel, die in Scharen zu Hunderten über dem Gefechtsfeld kreisten und großen Lärm
machten, stark beeindruckt haben. Nach unserem ornithologischem Verständnis waren es Saatkrähen (Corvus
frugilegus), die mit den Raben, die in Europa als ausgestorben gelten, verwandt sind. Die Saatkrähen bewohnen
insbesondere die großen Getreideanbauflächen Europas und Asiens und werden auch als Aaasfresser eingestuft.
Der Titel eines Buches ist im kommerziellen Sinn wichtig für ein Buch. Über den Titel und
die Gestaltung des Buches entscheidet immer der Verlag, der es ja verkaufen will. Zum Titelblatt wäre zu sagen,
dass hier der Kontrast zwischen einem sterbenden Krieger sein Blut ist rot und dem Tod, der schwarz
hervorgehoben wird und ja auch ein Geicht hat, durch einen Aasvogel symbolisiert werden soll. Der Krieger trägt den
üblichen Tarnanzug.
Mehr kann ich zum Thema Maklaki nicht mitteilen, jedenfalls nicht Wichtiges. Der strategische
Ablauf der Kämpfe ist mir, dem untergeordneten Soldaten, verborgen geblieben. Auch an mir wird die Erinnerung an
den Ausbruch des Krieges, der beiden Völkern soviel Leid gebracht hat, nicht spurlos vorübergehen. Ihnen, sehr
geehrter Herr Nikolai Andrejewitsch Tschumakow, und allen Mitgliedern des Museums "Kampfesruhm" in Maklaki wünsche
ich für die Vorbereitungen zu diesem Gedenktag besten Erfolg.
Mit herzlichen Grüßen Ihr
Bernhard Schulz
Viel geehrter Herr Bernhard Schulz!
26.Okt.1989
Mit großem Interesse machen wir uns mit Ihrem Buch "Die Krähen von Maklaki" bekannt, welches Sie
unserem Museum schenkten. Aber leider machen uns einige Ausdrücke beim Übersetzen in die russ. Sprache
Schwierigkeiten. Darum bitten wir Sie sehr uns folgendes zu erklären:
1) Wie übersetzt man genau in die russ.Sprache "Die Krähen von Maklaki"? Wir haben es mit "Die
Krähen von Maklaki" übersetzt, aber für uns ist es unverständlich warum "Die Krähen von Maklaki", denn in dem Buch
geht es ja um Kriegshandlungen und nicht um Krähen. Oder haben wir falsch übersetzt und den Sinn des Buches falsch
verstanden ? Erklären Sie dieses bitte.
2) Was bedeutet die Zeichnung auf dem Einband des Buches?
Was wird symbolisiert?
Nach unserem Verständnis wird mit der Zeichnung ein Rabe dargestellt und keine Krähe, auf Leichen von Menschen
sitzend. Eine Leiche ist schwarz, die andere Leiche rot. Was bedeutet dieses?
Z.Zt. bereiten wir uns energisch vor auf den 45.Jahrestag des Sieges über den Faschismus im
Großen Vaterländischen Krieg und es ist für uns sehr interessant alle Ereignisse der furchtbaren Jahre, die in der
Nähe unserer Siedlungen und Dörfer passierten zu kennen. Wir bitten Sie, als Teilnehmer dieser Kämpfe uns etwas
über diese Kriegsereignisse zu erzählen, was Sie gesehen haben. Wir wollten keinen Krieg aber wir müssen die
Schrecken kennen und die Leiden der Menschen, damit sich dieses niemals auf unserer Erde wiederholt.
Mit der tiefstempfundenen Achtung Ihnen gegenüber, die Mitglieder des Rates des Museums
"Kampfesruhm" der Mittelschule von Maklaki und ihrer Leiter
Tschumakow, Nikolai Andrejewitsch
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