Josef Weinheber

(*9.3.1892 in Wien; Freitod 8.4.1945 in Kirchstetten, Niederösterreich)

Josef Weinheber, du würdest nun wie ich fünf­undsiebzig Jahre alt. Aber du bist vor zweiund­zwanzig Jahren, ehe die Russen Kirchstetten be­setzten, aus den Reihen des Volkssturms an der Panzersperre ausgetreten und freiwillig von uns gegangen.
So wie Rainer Maria Rilke die "Fisolei", die Militärunterrealschule in St. Pölten verhalte­nem Stöhnen absolviert hatte, so hast du das Waisenhaus in Mödling Wien besucht. Trotz­dem euch beiden der Drill schwer angekommen sein mag, Rilke später den .Cornet' geschrie­ben und du hast die Parade der Zöglinge Franz Josef geschildert:
Da steht in Reih und Glied die Kompanie, der er angehörte, an ihrer Spitze der Kommandant Major Edler von Velten — da das geschlossene Geviert der Musik. — Endlich Bewegung von der Straße her: der Kaiser! und dann: General­ decharge, Trommelwirbel, das Gotterhalte. — Dann über den weiten Exerzierplatz hin große Defilierung, wie am Lineal! Erstürmung des Kogels, Bajonettangriff — Der Kaiser, inmitten seiner Suite, Generalen mit grünem Fe­derbusch und schwarzen Herren im Zylinder, der Kaiser hat Tränen in den Augen. Nicht von der Kälte. Der leidenschaftliche Militär weint vor Rührung über die soldati­sche Leistung der Knaben.

Du hast es ein für allemal gesagt: Exerzieren ist mehr als Beine hochwerfen und Schritt halten. Ein Gedicht beginnt: „Das Geheimnis beginnt mit dem Schritt, Und der Schritt nimmt uns tänzerisch mit..."

Mag man sich auch gegen den Drill sträuben, etwas von ihm geht in uns über. Wein­heber verlor nach fünf Jahren wegen einer schlechten Note aus Mathematik den Frei­platz im Waisenhaus. Er wurde nach schweren und bitteren Versuchen, sich durchzu­bringen, endlich Postbeamter und musste deshalb im ersten Weltkrieg nicht einrücken. Zwischen den beiden großen Kriegen, zehn Jahre vor dem Zusammenbruch, schrieb er wie einst Georg Trakl, geplagt von düsteren Ahnungen "Siegfried und Hagen".

Mannhalt vor dem Feinde,
Fallend, doch opfergroß:
so nichtl Im Schoß der Freunde
Los.

Immer ersieht dem lichten
Siegfried ein Tronje im Nu.
Weh, wie wir uns vernichten
Und das Reich dazu.

Wir schlugen uns selbst zu Stücken,
Ehrgier, Wurmgilt, Neid,
Gegen den Speer im Rücken Fiel uns das schwere
Ist keiner geleil.

Der Weg, den du vorangingst ­— wie oft in bitteren Stunden habe ich deiner gedacht, führte dich in jene von dir so ersehnte Freiheit, die du gepriesen hast:

.... Wie lange bin ich tot? Wie lange schon zu kränken nicht in jenem Reich, vor dem die Brust, als ich noch lebte, Bangen trug? Ich weiß es nicht. Die mörderische Zeit, So furchtbar dem, der selbst noch zeitlich ist, erstarb dem Geist. Der Toten schwebend Maß ist meins und unzerstörbar hier wie dort . . . Wer lebte so wie ich? Und pochte so mit hartem Knöchel an der Wand der Welt und hätte gegen jede Zeit wie ich ein randvoll Recht? Als ich noch lebte, musst' ich zu den Blumen gehn. Vorüber jetzt. Von höherer Macht zur Herrschalt eingesetzt, besteh ich auf der Macht: Ich lebe fort. Dort war es Nacht. Hier nicht. Hier ist das Wort.

Dein Trost, mein Freund, er hat auch mich getröstet.

Bruno Brehm